Die Betonbrocken und Pflastersteine sind zusammengekehrt. Der Kairoer Verkehr in den Straßen um die israelische Botschaft herum fließt wieder normal, der diplomatische Scherbenhaufen jedoch bleibt gewaltig. Verstummt ist das Triumphgeheul aus Tausenden Kehlen in der Nacht zum Samstag, als Randalierer rund um das Bürohochhaus an der Nil-Corniche ihren Aggressionen freien Lauf ließen.
evakuierung Was am frühen Abend mit einem kollektiven Zertrümmern der provisorischen Schutzmauer begonnen hatte, endete um Mitternacht mit dem Sturm auf die im 16. Stock liegenden Konsularräume.
Eine Stunde lang segelten Schwärme von Aktenblättern aus den Fenstern, frenetisch bejubelt von der Menge, während sich am anderen Ende Kairos Israels Botschafter Yitzhak Levanon mit seiner Familie, seinen Mitarbeitern und Geschäftsleuten per Militärflugzeug nach Tel Aviv evakuieren ließ.
Am anderen Morgen waren drei Menschen tot und 1.200 verletzt. Sechs eingeschlossene israelische Sicherheitsbeamte mussten sich stundenlang hinter einer Stahltür verbarrikadieren, bis sie von einem ägyptischen Kommando befreit wurden.
Botschafter Yitzhak Levanon war erst kurz zuvor aus dem Urlaub an den Nil zurückgekehrt – gegen den ausdrücklichen Rat der ägyptischen Regierung. Die hatte ihn gebeten, vorerst in Tel Aviv zu bleiben und das Botschaftspersonal auf ein Minimum zu reduzieren, bis sich die Gemüter nach dem Tod der sechsköpfigen Grenzpatrouille auf dem Sinai durch israelische Kugeln etwas beruhigt hätten.
»Wir wollten ihn nicht rauswerfen, dachten aber, ein verlängerter Urlaub des israelischen Botschafters wäre für uns alle hilfreich«, vertraute ein ägyptischer Diplomat der Zeitung Al-Ahram an. Leider habe Israel das anders gesehen.
weisses haus Der Oberste Militärrat, der seit dem Sturz von Hosni Mubarak die Macht hat, reagierte auf die nächtliche Eskalation erst konfus und dann martialisch. Zunächst war Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi für Israel stundenlang nicht zu sprechen, bis sich das Weiße Haus einschaltete.
Am nächsten Tag allerdings griffen die Generäle hart durch. Sie führten das verhasste Ausnahmerecht aus der Mubarak-Ära wieder ein, dessen Abschaffung zu den Errungenschaften der Revolution gehörte. Ohne Prozess hinter Gitter kommen kann künftig jeder, der »die nationale Sicherheit des Landes gefährdet, Waffen und Munition besitzt, Mitglied in einem Schlägertrupp ist, den Straßenverkehr blockiert oder vorsätzlich falsche Informationen verbreitet und Gerüchte in die Welt setzt«.
Der neue Katalog von Gummiparagrafen ist länger als unter Mubarak – und das für ein Volk, das glaubt, sich vor acht Monaten von Polizeiwillkür und Machtmissbrauch befreit zu haben. Das Land erlebe »eine Zerreißprobe, die die Grundlagen unserer Nation bedroht«, ließ der Militärrat erklären. Und Innenminister Mansour al-Essawy sekundierte, die Polizei werde künftig auf jeden schießen, der sein Ministerium oder eine Polizeiwache angreife.
Abgesehen von den wachsenden inneren Turbulenzen im Land aber sind Aversionen gegen Israel in der ägyptischen Bevölkerung weit verbreitet, obwohl es seit Camp David 1979 einen Friedensvertrag gibt. Viele Menschen am Nil empfanden Mubaraks Politik als leisetreterisch und von den USA ferngesteuert. Jahrelang wurde die Frustration mit dem außenpolitischen Kurs des eigenen Regimes von der Staatssicherheit mit Gewalt unterdrückt.
Eilat Nun sind die Spannungen explodiert, ausgelöst durch den Tod der sechs Grenzpolizisten auf dem Sinai. Israelische Einheiten hatten nach einem Terrorüberfall nahe dem Badeort Eilat, bei dem acht Menschen ermordet wurden, auch auf ägyptischem Territorium operiert und die Patrouille unter Feuer genommen. Die ägyptische Bevölkerung verlangt eine offizielle Entschuldigung und eine genaue Untersuchung.
»Was im vorrevolutionären Ägypten toleriert wurde, wird im nachrevolutionären Ägypten nicht mehr toleriert«, erklärte Übergangspremier Essam Sharaf und setzte damit einen neuen Ton im Umgang mit dem Nachbarn im Osten.
Die Muslimbruderschaft forderte gar eine »Revision« der Beziehungen, ohne aber den Friedensvertrag von Camp David ausdrücklich infrage zu stellen. Israel sollte verstanden haben, »dass sich Ägypten gewandelt hat, sich die ganze Region im Wandel befindet und es keinen Platz mehr gibt für Arroganz und Aggression«, hieß es in einer Stellungsnahme der Islamisten.