Das Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren sollte nach Worten des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, europaweit zum Innehalten führen. »Es gilt zu fragen, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg befinden«, schrieb er am Samstag in einem Gastbeitrag in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Der Nationalismus in Europa wachse, und in vielen europäischen Staaten werde offenbar zunehmend vergessen, »dass Frieden nicht selbstverständlich ist«.
Schuster forderte, den nachfolgenden Generationen »die ganze Dimension dieses Krieges zu vermitteln«. In Deutschland müssten Menschen aufwachsen, »die das Verantwortungsbewusstsein haben, das wir für ein friedliches Europa brauchen«.
GEDÄCHTNIS Der Beginn des Zweiten Weltkriegs sei lange tief im Gedächtnis der Deutschen verankert gewesen, fügte der Zentralratspräsident hinzu. »Die Schoa hat hingegen im deutschen nichtjüdischen Familiengedächtnis keinen systematischen Platz«, schreibt Schuster unter Berufung auf Untersuchungen des Soziologen Harald Welzer. Heute komme die Schoa »auf der Täterseite als Teil der Familiengeschichte so gut wie gar nicht mehr vor«.
»Es gilt zu fragen, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg befinden«, betont Schuster.
Zugleich beantragten heute immer mehr britische Juden mit deutschen Vorfahren die deutsche Staatsbürgerschaft, fügte Schuster hinzu. Diese Entwicklung zeige »ein gewisses Vertrauen, dass diese britischen Juden dem heutigen Europa entgegenbringen. Zum anderen wird die Europäische Union offenbar als Garant für Frieden und Sicherheit wahrgenommen.« Dies sei »bemerkenswert«, gab der Zentralratspräsident zu bedenken.
Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen. Rund 60 Millionen Menschen verloren während des sechs Jahre dauernden Krieges ihr Leben.
GEDENKEN Polen gedenkt am Sonntag des 80. Jahrestags des deutschen Überfalls, der den Beginn des Zweiten Weltkrieges markierte. Zu der zentralen Gedenkveranstaltung am Mittag in Warschau werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel erwartet.
Dass der Bundespräsident und die Kanzlerin gemeinsam an einer solchen Gedenkveranstaltung teilnehmen, ist ausgesprochen ungewöhnlich und kann als besondere Geste gegenüber Polen angesehen werden. Steinmeier und Merkel wollen damit deutlich machen, dass sich Deutschland zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg mit Millionen Toten bekennt.
Merkel und Steinmeier wollen deutlich machen, dass sich Deutschland zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg bekennt.
Steinmeier wird sich bereits am frühen Morgen mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda zu einer Gedenkveranstaltung in der Stadt Wielun treffen. Die damals nahe der deutschen Grenze gelegene und militärisch völlig bedeutungslose Kleinstadt war von der deutschen Luftwaffe am 1. September 1939 als erstes Ziel angegriffen und weitgehend zerstört worden. Etwa 1200 Menschen starben im Bombenhagel. Wenige Minuten später beschoss das deutsche Linienschiff SMS Schleswig-Holstein die Danziger Westerplatte.
USA Steinmeier und Duda werden in Wielun Reden halten, später auch in Warschau. Eine Rede Merkels ist nicht vorgesehen. Allerdings wird US-Vizepräsident Mike Pence sprechen. Er vertritt Präsident Donald Trump, der seine Teilnahme wegen des Hurrikans »Dorian« kurzfristig abgesagt hat.
Steinmeier will nach Angaben des Bundespräsidialamtes auch die inzwischen erreichte Versöhnung zwischen Deutschland und Polen würdigen und die Bedeutung des vereinten Europas für die weitere friedliche Entwicklung betonen. kna/ja/dpa