Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat fehlende Konsequenzen aus den zahlreichen judenfeindlichen Vorfällen bei der documenta in Kassel im vergangenen Jahr beklagt.
»Wir brauchen für die Zukunft ernsthaftere und überlegtere Ansätze, wie wir die Kunstfreiheit und den Kampf gegen Antisemitismus in Einklang bringen«, erklärte Schuster auf der Konferenz »Von der Kunstfreiheit gedeckt?« am Donnerstagabend in Berlin.
Zu der Veranstaltung hatten die Amadeu Antonio Stiftung, das American Jewish Committee Berlin, die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Zentralrat der Juden in Deutschland eingeladen.
Die 15. Ausgabe der alle fünf Jahre stattfindenden Weltkunstausstellung stand 2022 wegen antisemitischer Darstellungen massiv in der Kritik. Die Gesellschafter der Schau - die Stadt Kassel und das Land Hessen - hatten in der Folge sieben Wissenschaftler beauftragt, die fraglichen Werke auf antisemitische Botschaften zu prüfen, den Umgang der Verantwortlichen damit zu analysieren und Empfehlungen auszusprechen.
Schuster bekräftigte, dass »es dazu kam, geschah, wie gesagt, nicht aus heiterem Himmel«. Für ihn stelle sich die Frage, inwieweit dieser Skandal nicht hätte verhindert, oder in seiner Wirkung ganz anders hätte wahrgenommen werden können, hätte man rechtzeitig auf Hinweise gehört und vor allem reagiert.
Zugleich warb Schuster dafür, dass Künstler, Kunstschaffende oder Organisatoren antisemitismuskritische künstlerischere Projekte oder Programme stärker fördern. Es sei irritierend, dass es anscheinend einen Boykott dieser Künstler zu geben scheine. Er habe kein Interesse, an einem identitätspolitisch aufgeladenen Kunstbetrieb, »aber gerade israelische Künstler werden offensichtlich systematisch ausgegrenzt – auf die Biennale werden sie schon lange nicht mehr eingeladen«.
»Wie können wir also als Gesellschaft Antisemitismus im Kulturbetrieb entgegenwirken? Wie kann der Staat als großer Kulturförderer auf den Betrieb einwirken, dass es nicht zu den Entgleisungen kommt, die wir auf der documenta sehen konnten?«, fragte Schuster.
Dabei könnten sich politische Entscheider auf allen Ebenen nicht aus der Verantwortung ziehen. Die Planung von Förderprogrammen oder die Einstellung von Leitungspersonal in der Kulturpolitik stellten keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Kunstfreiheit dar. »Diese Kompetenzen müssen die Entscheider entsprechend verantwortungsbewusst wahrnehmen«, sagte Schuster. Die Verantwortung sei groß. Eine offene Gesellschaft zeichne aus, »dass sie sich zur Wehr setzt, wenn Menschenwürde und Mitmenschlichkeit unter Beschuss stehen«.
Der Kampf gegen Antisemitismus sei nicht nur eine Frage großer Reden. Von Institutionen, die Millionen von öffentlichen Geldern vergeben, könne erwartet werden, anhand entsprechender Kriterien genau zu prüfen, was mit dem Geld passiere. »Das ist ja auch ein Signal, wenn der Staat diese Haltung in solcher Stringenz verkörpert.« Kulturinstitutionen und Kulturverbände würden sich daran orientieren, wie sie mit Antisemitismus umgehen. kna/ja/dpa