Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bezweifelt 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass die Deutschen hinreichende Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Wer in Deutschland Regierungsverantwortung trage, der wisse um die andauernde Verantwortung aus der Nazizeit, sagte Schuster der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (Donnerstag): »Wenn wir Deutschland aber interpretieren als Staat mit all seinen Bewohnern und uns fragen, ob sie das ebenfalls verstanden und aus der Geschichte gelernt haben, so muss ich sagen, dass ich davon nie überzeugt war und es in der heutigen Zeit erst recht nicht bin.«
Der Zentralratspräsident zeigte sich besorgt, dass ein gewisses Maß an Antisemitismus ein dauerhafter Fakt zu sein scheine. Hinzu komme eine gefährliche Geschichtsvergessenheit. »Sie ist gerade bei jüngeren Menschen nicht zu leugnen. Für sie ist der Zweite Weltkrieg gedanklich ähnlich weit entfernt wie das Kaiserreich. Ein aktueller Bezug ist nicht mehr gegeben. Wenn rund die Hälfte der Jugendlichen den Begriff ›Auschwitz‹ nicht kennt, läuft etwas schief«, beklagte Schuster. Er sprach sich dafür aus, dass Schüler aller Schularten mindestens einmal eine KZ-Gedenkstätte besuchen.
Zudem forderte der Zentralratspräsident, die Antisemitismusforschung in Deutschland zu stärken. Unter anderem gehe es darum, Lehrern ein besseres Rüstzeug an die Hand zu geben. »Fragen Sie mal einen Lehrer, was er machen würde, wenn ein Schüler auf dem Schulhof einen anderen als Jude beschimpft. Wenn die Lehrer ehrlich sind, werden viele sich nicht zu helfen wissen und darüber hinweggehen.« epd