Wissen

Zeit zu lernen

Gemeindemitglieder sollen sich neugierig mit den eigenen religiösen, philosophischen und literarischen Wurzeln auseinandersetzen können. Foto: Thinkstock

»Ohne Einsicht kein Wissen, und ohne Wissen keine Einsicht«. Diese talmudische Erkenntnis (Sprüche der Väter 3,21) könnte als Leitsatz jüdischer Bildungsarbeit dienen. Die meisten Mitglieder unserer jüdischen Gemeinden sind in der ehemaligen Sowjetunion mit den Mitteln des sowjetischen Staatsapparats daran gehindert worden, ihre Religion auszuüben. Schon die öffentlich erklärte Zugehörigkeit zum Judentum wurde mit Sanktionen seitens der Behörden erwidert.

Die Zuwanderung russischsprachiger Juden nach Deutschland ermöglichte den Wiederaufbau und die Neugründung zahlreicher jüdischer Gemeinden. Doch dieses Projekt findet erst dann seinen würdigen Abschluss, wenn es gelingt, einen Ort zu etablieren, an dem sich Mitglieder der Gemeinden neugierig mit ihren eigenen religiösen, philosophischen und literarischen Wurzeln auseinandersetzen können. Das ist eine Maxime der angestrebten Bildungsarbeit des Zentralrats der Juden.

Der Reichtum jüdischen Wissens und Könnens ist gleichsam ein Schatz, den es zu heben gilt, da er uns dabei behilflich sein kann, die komplexen und oft widersprüchlichen Anforderungen der Gegenwart zu deuten, zu reflektieren und zu analysieren.

adressaten Bei allem bleiben die alteingesessenen Gemeindemitglieder und deren Kinder beständige Adressaten jüdischer Bildungsarbeit. Diese soll es ihnen ermöglichen, ihr Selbstverständnis in Anbetracht der demografischen Zusammensetzung der Gemeinden neu zu definieren, ihr Wissen zu vertiefen und ihr Engagement in Anerkennung der Veränderungen zu spezifizieren. Die Erfahrungen im Umgang mit der deutschen Gesellschaft und im Alltag erworbene Kompetenzen sind für Auf- und Ausbau der jüdischen Gemeinden unentbehrlich.

Das Judentum stellt eine der geistigen Grundlagen Europas dar. Es prägte die kulturelle, politische und ökonomische Geschichte vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Die Aufklärung wäre ohne die Beteiligung von Juden und die Auseinandersetzung mit dem Judentum nicht zu verstehen. Die jüdische Bildungsarbeit sieht sich dem Anspruch aktiver Toleranz und eines gleichberechtigten Miteinanders von Kulturen ohne Gleichgültigkeit verpflichtet. Sie will gerade im Zeitalter der Globalisierung und der mit ihr verbundenen tiefgreifenden Umwälzungen einen Beitrag dazu leisten, dass die deutsche Gesellschaft, zu der sie gehört und in der sie wirkt, kulturelle und religiöse Pluralität akzeptiert.

diskurse Das in der Schoa vernichtete oder verschüttete religiöse und kulturelle Erbe des deutschen und europäischen Judentums kann auf diesem Wege wieder Eingang finden in die Diskurse und Dispute um die künftige zivilgesellschaftliche, ethische und kulturelle Ausrichtung der von ständigem Wandel und gelegentlichen Krisen geprägten bundesdeutschen Wirklichkeit.

Gleichzeitig geht es um Integration und kulturelle Pluralität: Neben dem Aufgreifen verdrängter jüdisch-europäischer Traditionen ist es die Aufgabe von Alteingesessenen und Zuwanderern, sich die jahrhundertealte Geschichte der russischen sowie die Lebensformen der sowjetischen Juden in Erinnerung zu rufen.

Die intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten der Zuwanderer der ersten wie der zweiten Generation werden in der Bildungsarbeit breiten Raum einnehmen. Die wird sich der Herausforderung des komplexen Zusammenwachsens der unterschiedlichen Gruppen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft stellen. Das Bild des Judentums in Deutschland wird zukünftig maßgeblich von den Kindern der Zuwanderer geprägt sein.

initiativen Die vielfältigen Initiativen und Angebote der Bildungsarbeit des Zentralrats münden perspektivisch in der Gründung einer Jüdischen Akademie. Eine solche Akademie sähe ihre Aufgabe darin, die Kreativität, Spannungen und Konflikte, Chancen und Zukunftsaussichten der in sich pluralen jüdischen Gemeinschaft der Öffentlichkeit zu vermitteln, um damit einen eigenen jüdischen Beitrag zur Fortentwicklung der europäischen, liberalen und demokratischen politischen Kultur in Deutschland zu leisten.

Die Initiative des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, der jüdischen Bildung eine vorrangige Stellung auf der Agenda seiner Vorhaben einzuräumen, ist Ausdruck der Erkenntnis, dass erst eine umfassende Bildung die gesellschaftliche Integration vorantreibt. Sie befähigt den einzelnen Bürger, den sozialen, kulturellen und ökonomischen Erfordernissen einer modernen Gesellschaft zu entsprechen und somit seine Anschlussfähigkeit an nationale und internationale Entwicklungen unter Beweis zu stellen.

Wichtig für die jüdische Gemeinschaft ist ein herausragender Aspekt dieser Perspektive: Jüdische Lebensformen und Traditionen stellen nur dann ein Kontinuum im Prozess der Identitätsbildung dar, wenn sie von Generation zu Generation weitergegeben und in einen lebendigen, gegenwartsbezogenen Prozess der Traditionsbildung eingewoben werden. Die Bildungsarbeit des Zentralrats wird ihren Beitrag dazu leisten.

Österreich

Hitler-Geburtsort Braunau benennt Straßennamen mit NS-Bezug um

Ausgerechnet in Adolf Hitlers Geburtsort gibt es bis dato nach Nationalsozialisten benannte Straßen. Das soll sich ändern - und trifft bei einigen Politikern auf Widerstand

 03.07.2025

Hamburg

Hamas-Anhänger tritt bei staatlich gefördertem Verein auf

Das Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland wird durch das Programm »Demokratie leben« gefördert und lud einen Mann ein, der Sinwar als »Märtyrer« bezeichnet hat

 03.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  03.07.2025

Janusz-Korczak-Preis

»Eine laute Stimme für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt«

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde mit dem Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit ausgezeichnet. Die Laudatio hielt der Professor für Internationale Politik und Konfliktexperte Carlo Masala. Die Rede im Wortlaut

von Carlo Masala  03.07.2025

Ravensbrück

KZ-Gedenkstätte erhält 207 Interviews mit Überlebenden

Grimme-Preisträgerin Loretta Walz führte über 30 Jahre Gespräche mit den Überlebenden, nun übergab sie den letzten Teil der Sammlung

von Daniel Zander  03.07.2025

Geschichte

Rechts und links: Wie die AfD ein falsches Goebbels-Zitat verbreitet

Ein Faktencheck

 02.07.2025

Reaktionen

Massive Kritik an Urteil über Charlotte Knoblochs Ex-Leibwächter

Der Mann bewachte die Präsidentin der IKG München, obwohl er sich privat judenfeindlich und rassistisch äußerte. Für das Verwaltungsgericht nicht genug, um ihn aus dem Polizeidienst zu entlassen

 02.07.2025

Kommentar

Justiz: Im Zweifel für Antisemitismus?

Ein Verwaltungsgerichtsurteil lässt große Zweifel aufkommen, dass es alle mit der Bekämpfung von Antisemitismus unter Beamten ernst meinen

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025

Nach Skandal-Konzert

Keine Bühne bieten: Bob-Vylan-Auftritt in Köln gestrichen

Die Punkband hatte beim Glastonbury-Festival israelischen Soldaten den Tod gewünscht

 02.07.2025