Heute werde man über freudige Dinge sprechen, kündigte Antonia Yamin an. »Zum Beispiel Antisemitismus.« Mit einem Augenzwinkern eröffnete die BILD-Journalistin und Moderatorin am Dienstag die Tagung »Actions Matter«, die unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff stand, am Pariser Platz in Berlin.
Auf Einladung des European Leadership Network (ELNET) waren mehr als 100 Gäste – Experten, Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft – aus Israel, den USA und zahlreichen europäischen Ländern in die deutsche Hauptstadt gekommen. Gemeinsam tauschten sie sich über die Facetten des Phänomens Antisemitismus aus sowie über die verschiedenen Möglichkeiten, ihn zu bekämpfen. Aufbauend auf dem Erarbeiteten sollen dann in den nächsten Tagen konkrete Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger veröffentlicht werden.
Teilnahme Die Auseinandersetzungen, die Israel seit Amtsantritt der neuen rechts-religiösen Regierung erschüttern, warfen ihre Schatten auch auf die Tagung in Berlin. Da Diaspora-Minister Amichai Chikli (Likud) ein Grußwort hätte halten sollen, sagte einer der Referenten wieder ab. Die Teilnahme des israelischen Regierungsmitglieds würde der Veranstaltung »jegliche Glaubwürdigkeit entziehen«, schrieb der Journalist und Publizist Ofer Waldman in einem offenen Brief an ELNET. Chikli sei Teil einer Koalition, »die gerade dabei ist, die israelische Demokratie zu untergraben«, und zudem selbst »durch rassistische und homophobe Äußerungen aufgefallen«.
Dass Chikli am Ende auf der Konferenz gar nicht erschien, wohl weil ihn die sich zuspitzende Situation in seiner Heimat zwang, Berlin frühzeitig zu verlassen, änderte für Waldman offenbar nichts: Er blieb dem Geschehen trotzdem fern. Waldmans Appell an die anderen Teilnehmer, es ihm gleichzutun, verhallte dagegen, und die Tagung konnte weitgehend wie geplant stattfinden.
Ruth Cohen-Dar, Direktorin der Abteilung für die Bekämpfung von Antisemitismus im israelischen Außenministerium, fasste die gesellschaftliche Großwetterlage so zusammen: Es gebe »zwei große Trends, die wir in den vergangenen Jahren beobachten können«. Zum einen gebe es immer mehr Engagement ziviler und politischer Akteure gegen Judenhass, »zum anderen nehmen die antisemitischen Vorfälle global stetig zu«.
Auf der die Konferenz einleitenden Podiumsdiskussion, moderiert von Yamin, sollte zunächst ein Überblick über den Tagungsgegenstand gegeben werden. Neben Cohen-Dar nahm auch ihr deutscher Kollege, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, teil.
Ein wichtiger Fokus der Konferenz »Actions Matter« war das Thema Bildung.
»Wir müssen jede Form des Antisemitismus bekämpfen, eine harmlose gibt es nicht«, so Klein. Zwar gehe der Großteil judenfeindlicher Straftaten von Rechtsextremisten aus, der Hass aus dem linken oder islamistischen Spektrum sei aber ebenfalls gefährlich. Mit Blick auf antisemitische Darstellungen von Juden auf der documenta im vergangenen Jahr sagte Klein: »Was mir große Sorgen macht, ist, dass Antisemitismus, der nicht illegal ist, normalisiert wird.«
Für all das, was das Gesetz jedoch verbietet, fand Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, eine klare Formel: »Was offline illegal ist, muss auch online illegal sein.« Von Schnurbein hielt fest, dass es in Bezug auf Hass gegen Juden durchaus »Rechtsvorschriften in der gesamten EU« gebe. Das Problem sei vor allem die Umsetzung, es brauche ein sensibilisierendes Training für Polizei und Gerichte.
Nach dem Podium begann die eigentliche Arbeitsphase der Tagung. In vier Workshops vertieften die Teilnehmer jeweils ein spezifisches Thema: Kampf gegen die Delegitimierung Israels, interreligiöser Dialog und Bildungsstrategien sowie Antisemitismus in der Kultur oder im Netz. Zu denjenigen, die diskutierten und referierten, zählten unter anderem der polnische Parlamentsabgeordnete Michał Kaminski und sein deutscher Kollege Philip Krämer (Grüne), der Historiker Awi Blumenfeld sowie Emily Austin, Teil der israelischen Delegation bei den Vereinten Nationen.
ansatz In großer Runde wurden abschließend konkrete Handlungsempfehlungen im Kampf gegen Antisemitismus zusammengetragen. Ein wichtiger Fokus: Bildung. Man war sich einig, dass nur ein ganzheitlicher Ansatz wirklich förderlich sein könne. »Es ist wichtig, die Bildung über Juden und Israel zu verbessern und die Leugnung dieser einzigartigen Verbindung zu bekämpfen«, drückte es etwa Kim Stoller vom International Institute for Education and Research on Antisemitism aus. Eine isolierte Betrachtung etwa der Schoa, wie sie in Schulen oft geschehe, sei dagegen wenig zielführend.
Weitere häufig genannte Punkte waren die Schaffung breiterer Allianzen zwischen Organisationen, Aktivisten und von Diskriminierung betroffenen Gemeinschaften sowie die stärkere Einbeziehung jüdischer Perspektiven und eine bessere institutionelle Implementierung der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA).
Getreu des Mottos der Konferenz endete diese mit einem Aufruf. »Wir müssen handeln!«, appellierte Kerstin Müller (Grüne), ELNET-Beirätin und ehemalige Bundestagsabgeordnete, an alle Teilnehmer. Müller lobte die Diskussionen an dem Tag und begrüßte, »dass wir jetzt gemeinsam an der Umsetzung der Aktionspunkte arbeiten können«. Sehr bald, so hoffte sie, werde man sich bei einer Neuauflage der Konferenz wiedersehen.