In unserer zunehmend vernetzten Welt können sich Führungspersönlichkeiten nicht länger in ihrem abgekoppelten Einflussbereich einspinnen: Sie müssen Rechenschaft ablegen und auf die Stimmen demokratisch gesinnter, frei denkender Menschen hören. Politiker sind auf der globalen Bühne keine isolierten Akteure, die sich hinter einem Wall von Sicherheitsmaßnahmen verschanzen, der sie von den Menschen trennt, und einseitig Beschlüsse umsetzen, die Auswirkungen auf das Leben von Milliarden haben.
Wir als Teil der liberalen Gesellschaft haben daher die Pflicht, Treffen von globaler Bedeutung – wie den bevorstehenden G7-Gipfel am 7. und 8. Juni – zu nutzen, um das Bewusstsein für Fragen sozialer Gerechtigkeit auf der ganzen Welt zu stärken und Veränderungen einzufordern. Denn es geht darum, dass Menschen, die normalerweise ausgeschlossen sind, auf Schloss Elmau gehört werden.
luxushotel Bei dem Treffen in dem Luxushotel am Fuße des Wettersteins, weit entfernt von der weltweit zunehmenden Instabilität, mit der die Menschheit in unserer Zeit zu kämpfen hat, werden die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten über Lösungen für die dringlichsten der zahlreichen globalen Probleme diskutieren. Im Laufe der zwei Tage werden die ganz großen Fragen erörtert. Die Ergebnisse dieser Diskussionen werden sich nicht nur auf die Bürger der jeweiligen G7-Länder auswirken, sondern das Schicksal unzähliger Menschen beeinflussen.
Die Mächtigen der Welt haben auf Schloss Elmau nicht nur die Möglichkeit, Einfluss auf die internationale Politik zu nehmen, sondern können auch die notwendigen Beschlüsse zur Bekämpfung der Menschheitsgeißeln fassen, die den Planeten noch immer plagen: Armut, Hunger, Obdachlosigkeit. Beten wir dafür, dass sie auf das ferne Ziel hinarbeiten, eine nachhaltige, gerechte Welt zu schaffen.
Die Punkte auf der Agenda des G7-Gipfels behandeln in erster Linie umfassende Fragen der internationalen Sicherheit, der Stärkung der Außenpolitik und des freien Handels zwischen den Staaten. Ein zentrales Thema ist die Zähmung der unberechenbaren globalen Märkte: Sollten keine proaktiven Schritte unternommen werden, wird es in absehbarer Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Krise wie im Jahr 2008 kommen.
bankenbeziehungen So ernst diese Dinge sind, für viele Menschen überall auf der Welt sind sie etwas Abstraktes, das mit ihrem Leben nichts zu tun hat. Was kümmern die japanisch-amerikanischen Bankenbeziehungen einen Bauern in Kenia, der sein Feld nicht bestellen und seine Familie nicht ernähren kann? Was haben deutsch-kanadische Geschäfte mit dem Waisenjungen in Indien zu tun, dessen Eltern Krankheit und Not zum Opfer fielen?
Anstelle der abstrakten Themen erheben wir unsere Stimme für konkrete Veränderung. Vor allem müssen wir das Bewusstsein dafür schärfen, dass fast 800 Millionen Menschen unterernährt sind und keine Nahrungssicherheit haben. Obwohl die Zahl der Hungernden in den letzten zwei Jahrzehnten zurückgegangen ist, ist sie immer noch furchtbar hoch. Wie sollen wir in einer gerechteren Gesellschaft leben, wenn so viele Menschen nicht einmal in der Lage sind, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen?
Schon im Mittelalter erklärte der Torakommentator Raschi zum 5. Buch Mose 22,1, was es bedeutet, die Not der Armen zu ignorieren: »Die eigenen Augen so zu beherrschen, als sähe man nicht. Die offensichtliche Bedeutung ist hier, dass man nicht sehen soll, nur um dann zu tun, als ginge es einen nichts an.« In der Tora wird Josef erst zu einem großen Staatsmann, nachdem er die Verletzlichkeit seiner entfremdeten Brüder erkannt hat. Ein Mensch verliert nicht an Größe, sondern festigt sie, wenn er die am meisten Benachteiligten der Welt ganz oben auf seine Agenda setzt.
ressourcen Während die Entfernung zwischen den Völkern auf globaler Ebene schrumpft, wird die Arbeit, die getan werden muss, um Gerechtigkeit zu schaffen und den Zugang zu den begrenzten Ressourcen für alle zu sichern, immer umfangreicher. Wir sind moralische Wesen, unsere Aufgabe ist es nicht, die Mächtigen zu unterstützen, sie brauchen uns nicht.
Inspiriert von unseren heiligen Texten und unseren Weisen, ist es unsere Pflicht, uns den Unterdrückten, Einsamen, Stimmlosen zuzuwenden. Nicht, indem wir ab und zu an sie denken oder ab und zu etwas für sie tun. Wir müssen unsere Hinwendung in einem funktionierenden Schutzsystem verankern. Wenn wir die Möglichkeit haben, als Fürsprecher der Unterdrückten, Verfolgten und Schwachen aufzutreten und die Gelegenheiten auf dem G7-Gipfel nicht wahrnehmen, unser Herz gegen die Not verschließen, würden wir unsere Pflichten sträflich vernachlässigen.
Als jemand, der sowohl mit den einflussreichsten als auch den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft zu tun hatte, weiß ich, dass es viel zu tun gibt, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu überwinden. Doch es kann und muss getan werden, um jede herrliche Seele auf dieser göttlichen Erde zu schützen. Der G7-Gipfel in Elmau könnte ein Schritt in diese Richtung sein.
Der Autor ist Verfasser mehrerer Bücher zur jüdischen Sozialethik und Wirtschaftsberater für Non-Profit-Organisationen. Das Magazin Newsweek zählte ihn zu den 50 einflussreichsten Rabbinern Amerikas.