Es waren bereits gefährliche Zeiten, als die jüdische Familie Margulies aus Nazi-Deutschland floh. Im März 1939 schaffte es Vater Menashe Margulies, Textilhändler aus Chemnitz, Visa für die Niederlande zu bekommen. Der 15-jährige Sohn Szalay sollte in Berlin eigentlich Schiffskarten kaufen. Stattdessen ergatterte er für 2544 Reichsmark vier Flugtickets der Lufthansa von Berlin nach Haifa.
Hindernis Ein großes Hindernis blieb: Das Familienklavier sollte keinesfalls zurückbleiben. Tatsächlich gelang es den Flüchtenden irgendwie, das Instrument nach Palästina zu verschiffen.
Vierundachtzig Jahre später ist das Piano zurück in Deutschland. Seit Dienstag ist es in der Ausstellung »Sechszehn Objekte« im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags zu besichtigen.
Verschleppt Es sind 16 Stücke aus einer Sammlung von 42.000 Artefakten der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Diese bringt zu ihrem 70-jährigen Bestehen erstmals eine kleine Auswahl in das Land, in dem ihre Besitzer einst zuhause waren, aus dem sie vertrieben oder verschleppt und ermordet wurden. Es ist eine berührende Rückkehr nach einer sehr langen Reise.
»Ich wollte natürlich ganz unterschiedliche Objekte haben, nicht nur jüdische Artefakte«, sagt Ruth Ur, die Kuratorin der Ausstellung und Geschäftsführerin des deutschen Freundeskreises von Yad Vashem. »Es geht nicht um jüdische Menschen, es geht um Deutsche in erster Linie.«
Botschaft Gerade da Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas werde, könne es keine passendere Botschaft geben: »Ein Klavier, das den Holocaust überlebt hat, kommt zurück nach Deutschland, um zu zeigen, wie wichtig Musik ist.« Überlebt hat in Israel auch der damals 15-jährige Szalay, heute Shlomo, geboren 1923, vor fast hundert Jahren.
»Es ist wichtig zu zeigen, dass zwischen jedem einzelnen Objekt und Deutschland eine Verbindung besteht«, sagt der Leiter von Yad Vashem, Dani Dayan. Sie stünden exemplarisch für je ein Bundesland. Zur Eröffnung der Ausstellung und zu politischen Gesprächen kommt der 67-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben nach Deutschland.
Aufmerksamkeit Er hatte sich eigentlich geschworen, nie deutschen Boden zu betreten - um nie zu vergessen, was mit jüdischen Menschen in Deutschland passiert sei. »Es hatte nichts mit Hass zu tun, es hat nur mit Erinnern zu tun«, sagt Dayan. Doch sei es der »gleiche Grund, der mich jetzt nach Deutschland bringt: das Erinnern«. Mit seiner Reise wecke er Aufmerksamkeit, »und so werden wir das Erinnern verstärken und dazu beitragen, dass es nie wieder passiert«.
Wenn man geht, unter Zwang, wahrscheinlich für immer, was nimmt man mit? Für die 1937 geborene Lore Stern aus Kassel war es ihre Puppe Inge, die 1941 mit ihr nach Portugal und schließlich in die USA reiste. Von dort wanderte Lore Stern 1991 nach Israel aus und mit ihr die Puppe.
Emigration Auch für Anneliese Dreifuss aus Stuttgart war es ein Spielzeug, eine winzige Keramikküche, die die Emigration in die Vereinigten Staaten überlebte.
Als der Hamburger Leon Cohen ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, wollte er auf eines nicht verzichten: seinen selbst gefertigten Tora-Schrein. Als ihn die Nazis weiter nach Auschwitz verschleppten, ließ Cohen den Schrein dann doch zurück. Die Leiterin eines Kinderheims verwahrte ihn. So kam der Schrein nach Yad Vashem und nun nach Berlin. In der Ausstellung steht er ganz in der Nähe einer Vitrine mit einem unscheinbaren Fetzen Stoff - ein Fragment der Fahne des Jugendbunds Maccabi Hatzair.
Todesmarsch Als Mitglieder des Bundes 1943 deportiert werden sollten, zerrissen sie die Fahne und versprachen sich gegenseitig, sie wieder zusammenzusetzen, wenn sie sich in Israel wiedersähen. Eine von ihnen, Anneliese Borinski, schaffte es tatsächlich, ihr Stück Stoff im Vernichtungslager Auschwitz und auf einem Todesmarsch bei sich zu behalten. Sie war die einzige, die ihren Teil der Fahne nach Israel bringen konnte.
Dinge des Erinnerns, wenn niemand mehr aus erster Hand erzählen kann: »Wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit«, sagt Yad-Vashem-Leiter Dayan. »Wenn die Zeitzeugen nicht mehr unter uns sind, dann müssen wir sicherstellen, dass wir ihre Erinnerung weitertragen.«