Drei Stunden, nachdem die Wahlkommission den Kandidaten der Muslimbrüder, Muhammad Mursi, zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärte, kommentierte Israels Premier Benjamin Netanjahu zurückhaltend und knapp: »Israel begrüßt den demokratischen Prozess in Ägypten und respektiert das Ergebnis der Präsidentenwahlen. Israel sieht der anhaltenden Kooperation mit der ägyptischen Regierung auf der Basis des Friedensvertrags zwischen beiden Ländern entgegen.«
Neutraler ging es kaum. Israels größte Sorge scheint zu sein, den strategisch wichtigen Beziehungen zum südlichen Nachbarn durch unbedachte Äußerungen schaden zu können. Man hat sich an den Ge- danken gewöhnt, dass Ägypten dabei ist, abzudriften. Folglich hat der jüdische Staat begonnen, sich auf mögliche Konsequenzen vorzubereiten.
Sinai Israels Generalstab spielt verschiedene Szenarien einer möglichen Konfrontation mit Ägypten durch. Erstmals befasst man sich im Hauptquartier wieder mit der Möglichkeit eines Zweifrontenkrieges. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings gering. Eine unmittelbarere Gefahr könnte sein, dass die Regierung in Kairo wahrscheinlich auf absehbare Zeit schwach bleiben wird. Eine Konsequenz davon wäre anhaltende Anarchie auf dem Sinai. Die Halbinsel hat sich bereits jetzt vom Urlaubsparadies zum Tummelplatz von Islamisten, Menschen-, Rauschgift- und Waffenschmugglern entwickelt. Wiederholt haben islamistische Terrorgruppen vom Sinai aus mit Raketen geschossen oder die Grenze überquert, um in Israel Attentate zu verüben.
Die Hamas verwandelt das durch den Friedensvertrag von 1979 vor israelischen Vergeltungsangriffen geschützte Gebiet in ein gewaltiges Raketendepot. Israel muss nun damit rechnen, dass diese Bedrohung weiter eskaliert. Denn die Hamas, eine Tochterorganisation der ägyptischen Muslimbrüder, will Mursis Einfluss nutzen, um im innerpalästinensischen Machtkampf militärisch zu erstarken. Ein weiteres Szenario ist, dass der neue Präsident die nationalistische Karte spielt und entgegen den Bestimmungen des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags Truppen im Sinai aufmarschieren lässt.
Die Regierung Netanjahu hat sich derzeit ein für sie unübliches Schweigen auferlegt, um weiterhin hinter den Kulissen mit dem ägyptischen Militär in Sicherheitsfragen kooperieren zu können. In der Zwischenzeit baut Jerusalem einen Grenzzaun, um Islamisten und Flüchtlinge aus dem Sinai herauszuhalten, und stellt neue Militäreinheiten auf, um die Grenze besser zu schützen. Im Übrigen hofft man, dass Mursi lange mit innerägyptischen Problemen be- schäftigt sein wird, sodass ihm keine Zeit bleibt, sich dem von ihm zum Feind erklärten Israel zu widmen.