Die Wahl ist vorbei, die Plakate werden abgehängt, die Botschaften bleiben. »Für Dich« plakatierte der Direktkandidat der SPD, Kaweh Mansoori, im multikulturellen Frankfurt weltoffen in verschiedenen Sprachen. Hebräisch war nicht darunter. Warum nicht? Die Nachfrage auf Twitter löste eine heftige Debatte aus. Die Verwendung der eher selten gesprochenen Sprache Hebräisch wäre ein »politisches Statement« gewesen, erklärte Mansoori und präzisierte in einer Direktnachricht an mich, dies hätte »als Solidaritätsadresse Sinn ergeben, was nicht Zweck des Plakats war«. Schade.
Angesichts des sich radikalisierenden Antisemitismus hätte ich mir im Wahlkampf dieses Zeichen der Solidarität gewünscht, gerade weil ich weiß, dass es ihn vielleicht Stimmen gekostet hätte, Solidarität mit Juden, insbesondere mit dem jüdischen Staat, auszudrücken. Darüber auch nur öffentlich diskutieren zu wollen, löst unmittelbare politische Reflexe aus. So auch in diesem Fall. Die Nachfrage an den Kandidaten sei nur deshalb erfolgt, weil er Muslim sei.
cancel culture Seit Jahren schwillt der Chor an, der sofort den Refrain von der »Cancel Culture der jüdischen Lobby« anstimmt und »Rassismus« unterstellt, sobald Kritik Menschen mit Migrationshintergrund gilt. Diese Debatte nimmt an Schärfe zu. Nun fühlen sich die meisten Deutschen weder rassistisch noch antisemitisch bedroht, weshalb beide Themen auch im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielten. Jetzt aber müssen wir die Debatte einfordern. Es geht um nicht weniger als den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Juden sind wie früher die Kanarienvögel im Bergbau. Sie haben ein feines Gespür dafür entwickelt, wenn die politische Luft dünn wird. Der Demokratie geht der Sauerstoff aus, wenn wir nicht ehrlich und respektvoll miteinander streiten. Dabei gilt: Vorsicht vor falschen Freunden! Entsprechend haben alle jüdischen Organisationen vor der Wahl der AfD gewarnt, vor einer Partei, »in der Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ihren Nährboden finden«. Sie haben sich dagegen verwahrt, als »Feigenblatt für antimuslimische Parolen« zu dienen.
Gerade Juden wissen aus eigener Erfahrung, was es heißt, fliehen zu müssen, und dass Fremdenfeinde immer auch Judenfeinde sind, selbst wenn viele der Fremden Antisemitismus im Fluchtgepäck mitgebracht haben. Der Feind meines Feindes nämlich kann durchaus auch mein Feind sein.
Wie positioniert sich die neue Regierung gegenüber Israel, wie gegenüber dem Iran?
Judenfeindschaft ist in vielen Milieus, Ideologien, Religionen zu Hause – quer durch das politische Spektrum. Und das gilt es endlich offen auszusprechen. Beispiel Hagen, jene Stadt, in der aus Solidarität mit der israelischen Zivilbevölkerung während des Raketenterrors aus Gaza erst die Israelflagge auf dem Rathaus gehisst und dann aus Angst vor der Wut junger Muslime rasch wieder eingeholt wurde.
zukunft Ausgerechnet auf die Hagener Synagoge plante ein junger Syrer offenbar zwei Jahre nach dem Anschlag eines rechtsradikalen Attentäters auf die Synagoge in Halle in diesem Jahr zu Jom Kippur ein Attentat. Was für die meisten nicht mehr als eine Schlagzeile war, hat für deutsche Juden einmal mehr die existenzielle Frage nach der eigenen Zukunft aufgeworfen.
»Ist das mein Land? Will ich bleiben?«, fragte sich ein Kölner Gemeindemitglied am Tag des vereitelten Anschlags in Hagen in der ARD. Er fragte es ruhig und ernst. Welche Antwort er sich geben wird, sagt nicht nur etwas über ihn, sondern vor allem über Deutschland aus.
Und weil das Hierbleiben eben nicht selbstverständlich ist, ist Außenpolitik für Juden immer auch Innenpolitik. Deshalb ist es besorgniserregend, dass auch Außenpolitik im Wahlkampf kaum vorkam. Wie positioniert sich die neue Regierung gegenüber Israel, wie gegenüber dem Iran? Hat das Diktum von der deutschen Staatsräson, wenn es um Israels Sicherheit geht, auch in der Post-Merkel-Ära noch Gültigkeit? Und wenn ja, wie übersetzt sich das in Politik gegenüber dem Iran?
iran Deutschlands Stimme hat Gewicht in Europa und in der Welt. Deutschlands Schweigen auch. In der Großen Koalition wurde vernehmlich geflüstert, wenn es um die Atompläne des Iran ging, und laut applaudiert, wenn die Führung in Teheran gnädig Gesprächsbereitschaft signalisierte und sich ein mögliches Ende der Wirtschaftssanktionen und damit Exportchancen für deutsche Unternehmen abzeichneten.
Juden haben ein feines Gespür dafür entwickelt, wenn die politische Luft dünn wird.
Die neue Regierung sollte endlich ihre Stimme erheben und klar sagen, was ist: Teheran hat nie aufgehört, an der Atombombe zu bauen. Wer mit diesem Regime Geschäfte macht, verkauft Israels Sicherheit. Übrigens: Das Direktmandat holte Mansooris grüner Konkurrent Omid Nouripour, der beim Thema Iran erfreulich Klartext redet.
Und wer Antisemitismus bei der jeweils eigenen politischen Klientel übersieht oder verharmlost, stärkt den Judenhass und schwächt die Demokratie. Nötig ist der Mut für unbequeme Debatten und konkretes Handeln.
Manches kann dabei sehr schnell erfolgen. »Respekt für Dich« plakatierte Wahlsieger Olaf Scholz. Auf diesen Respekt hoffen auch über 220.000 jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion. Ein Drittel von ihnen wird im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein, weil ihre Arbeit, anders etwa als bei deutschen Spätaussiedlern, nicht respektiert und bei der Rente nicht angerechnet wird. Ihnen lässt sich in den ersten 100 Tagen helfen. Wenn man will. Will man? Auch daran sollten wir die neue Regierung messen.
Die Autorin ist Publizistin in Frankfurt.