Literatur

Wolffsohn kritisiert Formen des Gedenkens an NS-Opfer

Michael Wolffsohn Foto: Uwe Steinert

Der Historiker Michael Wolffsohn kritisiert Formen des Gedenkens an NS-Opfer als »vollkommen versteint und persönlich unbetroffen«. Er könne die meisten deutschen Gedenkreden kaum noch ertragen, obwohl er deren Substanz »vorbehaltlos bejahe«, schreibt Wolffsohn in seinem neuen Buch. Er moniert Rituale und Plattitüden und zeigt sich überzeugt davon, dass Redner und Zuhörer froh seien, wenn sie alles hinter sich hätten.

Enthalten sind zwei Reden für eine Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen von 1938: Die zweite hielt Wolffsohn anstelle der ersten, weil er sie nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres umgeschrieben hatte. Er spricht von einem »sowohl zornigen als auch kühl nachdenklichen kleinen Buch«, von »Empörung plus Analyse«.

Antisemitismus ist Gefahr für »alle aufgeklärten Bürger Europas«

In seiner nicht gehaltenen Rede empfiehlt Wolffsohn: »Wer Lehren aus der Reichskristallnacht ziehen will, muss heute prä- und reaktiv alle Minderheiten einschließende Gedanken entwickeln und anwenden. Nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Am besten unter der Regie von neudeutschen Muslimen, die fest auf dem Boden unseres Rechts- und Sozialstaates stehen.« Ohnehin reiche es nicht, Minderheiten lediglich zu tolerieren, sie müssten akzeptiert werden.

In dem Buch warnt Wolffsohn generell davor, den Antisemitismus jenseits des rechtsextremen Spektrums zu übersehen. Auch die »extremistische Linke einschließlich ihrer linksliberalen, kulturbürgerlichen Legitimatoren« sowie islamische Fundamentalisten gefährdeten Juden, schreibt Wolffsohn in seinem neuen Buch. Die Gefahr erstrecke sich insgesamt auf »alle aufgeklärten Bürger Europas«. Alle drei Gruppen wollten offene Gesellschaften zerstören.

»Staatliche Bringschuld«

Der Staat und nicht seine Bürger seien in der Pflicht, die Sicherheit aller Menschen zu gewährleisten. Wolffsohn schreibt von einer »staatlichen Bringschuld« und notiert: »Zweifel an der Schutzwilligkeit des deutschen Staates bestehen nicht, wohl aber an seiner Schutzfähigkeit.« Dies sei nicht nur ein deutsches, sondern ein westeuropäisches Problem.

Im Umgang miteinander dringt der Historiker auf eine »funktionale Toleranz« im Sinne von »Leben und leben lassen«, auch wenn einem der Lebensstil anderer Menschen nicht behage. Eine solche Toleranz sei nicht perfekt, aber vor allem nicht tödlich.

Im Vorgehen gegen Judenhass reiche formale Bildung nicht aus - es brauche darüber hinaus »Herzensbildung«. Wolffsohn plädiert zudem für differenzierte Betrachtungen. Parlamente könnten zudem Gesetzeslücken schließen, bestehende Gesetze müssten von der Polizei durchgesetzt und Rechtsverstöße juristisch geahndet werden.

Das neue Buch trägt den Titel »Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus«. Es erscheint im Herder Verlag am Samstag, an dem der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. kna

Meinung

Die Schweizer Sozialdemokraten und ihr radikaler Mittelweg

Die SP versteckt sich hinter widersprüchlichen und israelkritischen Resolutionen

von Nicole Dreyfus  29.10.2024

Libanon

Acht UN-Soldaten bei Raketenbeschuss leicht verletzt

Die UN schreiben den Angriff der Hisbollah zu

 29.10.2024

Berlin

Studentin für israelfeindliche Flugblätter verurteilt

Die Studentin wurde zudem des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte für schuldig gesprochen

 29.10.2024

Meinung

Djamshid Sharmahd hätte gerettet werden können

Warum die Bundesregierung eine Mitverantwortung für den Tod des Oppositionellen trägt

von Saba Farzan  29.10.2024

Geiseln

Netanjahu dementiert Vorschlag für Geisel-Abkommen

Ein ägyptischer Vorschlag für einen Geiseldeal existiert wohl doch nicht

 29.10.2024

Berlin

Klein: Antisemitismus an Schulen und im Internet bekämpfen

Klein und Friedman kritisierten mangelnde Anteilnahme in Deutschland mit dem Leid der Opfer des Terroranschlags

 29.10.2024

Antisemitismus

Publizist Friedman: Worte Erdogans sorgen für Judenhass-Anstieg

Für Michel Friedman ist der türkische Präsident mitverantwortlich für wachsenden Antisemitismus

 29.10.2024

Staatsanwaltschaft Stuttgart

Anklage wegen Anschlagsplänen auf Synagoge in Heidelberg

Zwei junge Männer tauschen sich in Chats über mögliche Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Heidelberg und Frankfurt am Main aus

 29.10.2024

Hannover

Erneut Vandalismus an NS-Gedenkstätte Ahlem

Unbekannte haben am Sonntagabend mehrere Tafeln an der sogenannten »Wand der Namen« beschädigt oder ganz herausgerissen

 29.10.2024