Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding
(CDU) hat in der Affäre um den Fluchtversuch des Attentäters von
Halle weitere Aufklärung zugesichert. »Wir werden hart daran
arbeiten, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen«, sagte Keding am
Dienstag im Magdeburger Landtag. Dazu gehöre auch die Untersuchung
durch eine externe Expertenkommission. Durch den Vorfall sei das
Vertrauen in den Justizvollzug erschüttert worden. Erneut bat Keding
dafür um Entschuldigung: »Es hätte nicht passieren dürfen.«
Die Ministerin erläuterte, dass in der JVA Halle die Anordnungen
nicht befolgt und die Sicherheitsvorkehrungen eigenmächtig gelockert
worden seien, so dass der Attentäter über einen Zaun klettern und
sich fünf Minuten lang völlig unbeobachtet auf dem Gelände bewegen
konnte. Die Darstellung der Linken, Stephan B. habe sich 45 Minuten
unbeaufsichtigt bewegt, wies Keding zurück, fügte aber zugleich
hinzu: »Er hätte nicht eine Minute unbeaufsichtigt sein dürfen.«
Die Linke-Fraktion, die die Aktuelle Debatte beantragt hatte,
kritisierte die Informationspolitik des Ministeriums und vermisste
eine öffentliche Entschuldigung des Ministerpräsidenten Reiner
Haseloff (CDU). Der Ministerpräsident hätte sich zu Wort melden
müssen, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Linken, Eva von
Angern. Der Fluchtversuch stünde am Ende einer Kette von
Fehlverhalten, Versäumnissen und Desinteresse, für die das
Ministerium verantwortlich sei. Die Versetzung des
Justizstaatssekretärs Hubert Böning in den einstweiligen Ruhestand
sei ein überfälliger Schritt gewesen, sagte die Linken-Politikerin.
Auch Grüne und SPD begrüßten die personellen Konsequenzen. Der
neue Staatssekretär müsse nun die Lehren aus dem Vorfall ziehen,
sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Sebastian
Striegel. Die Justizministerin stehe nun politisch unter Bewährung.
Der Fluchtversuch hätte dem Ruf des Landes Sachsen-Anhalt großen
Schaden zugefügt. Der Fluchtversuch und die im Anschluss nicht
angemessene Informationspolitik des Justizministeriums seien das
Resultat von individuellem Fehlverhalten und systematischen
Missständen, sagte Striegel.
Silke Schindler von der SPD-Fraktion sagte, die politische
Aufarbeitung sei noch längst nicht abgeschlossen. Wichtig sei auch
die Lösung struktureller Probleme. Die AfD nutzte die Debatte, um auf
den aus ihrer Sicht unterschiedlichen Umgang der Justiz mit
unterschiedlichen Tätern hinzuweisen.
Stephan B. hatte am Pfingstsamstag einen Fluchtversuch aus der JVA
Halle unternommen. Der 28-Jährige muss sich ab 21. Juli vor Gericht
für den antisemitischen Anschlag in Halle vom 9. Oktober 2019 mit
zwei Toten verantworten. Er wurde nach dem Fluchtversuch in das
Hochsicherheitsgefängnis nach Burg verlegt. Er hätte von vornherein
in Burg untergebracht werden sollen, sagte Jens Kolze von der
CDU-Fraktion. Der Vorfall habe dem Ansehen des Justizvollzug
geschadet. epd
Sachsen-Anhalt