Frau Guentner, die Union progressiver Juden hat einen neuen, relativ jungen Vorstand. Setzen Sie neue Akzente?
Dass es ein junger Vorstand ist, finde ich sehr gut, wir sind auch eine junge Bewegung. Zum ersten Mal ist es uns gelungen, junge Leute aus unserer eigenen Jugendarbeit in den Vorstand zu wählen. Sicher will ein Vorstand mit vielen neu gewählten Mitgliedern neue Akzente setzen. Ich muss allerdings auch sagen, dass die bisherige Richtung der Union mit meinen Auffassungen grundsätzlich übereinstimmt. Bei so positiver Entwicklung gibt es keinen Grund, etwas zu ändern um der Veränderung willen.
Welche Herausforderungen sehen Sie?
Neben der Integrationsarbeit, die aufgrund unserer so vielfältigen Gemeindezusammensetzung auch unterschiedlich entwickelt wurde, ist die größte Herausforderung die weitere institutionelle Etablierung des liberalen Judentums. Da sind unter meinem Amtsvorgänger Jan Mühlstein große Fortschritte gemacht worden. Doch viele Gemeinden sind noch immer nicht so ausgestattet, dass sie sich kontinuierlich entwickeln können. Ihnen fehlt nach wie vor die sichere Basis, in stabilen Strukturen weiterarbeiten zu können.
Sie meinen die finanzielle Ausstattung?
Ja, auch. Mir ist bewusst, dass dieser Prozess noch voll im Gange ist.
Und der dann auch zusammen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland geregelt werden müsste?
Das wäre meine große Hoffnung.
Wie wichtig ist Ihnen generell die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat?
Ich möchte schon bald zu einem persönlichen Gespräch mit Zentralratspräsident Dieter Graumann zusammenkommen. Es ist mir ausgesprochen wichtig, dass die Juden in Deutschland, ganz gleich welcher Richtung sie angehören, auch einen guten Kontakt untereinander haben. Als liberale Jüdin wünsche ich mir Respekt vor dem Pluralismus und das gemeinsame Gespräch.
Auch Herr Graumann wirbt für ein pluralistisches Judentum.
Mit meinem Kölner Background kenne ich die Schwierigkeiten, die die Etablierung unterschiedlicher religiöser Richtungen mit sich bringen kann. Aber ich hoffe, dass wir eine gute Arbeitsbasis finden werden, um weitere Fortschritte zu erzielen. Mir liegt viel daran, und ich hoffe, dass ich da beim Zentralrat auf offene Ohren stoße.
Wo möchten Sie das liberale Judentum im Jahr 2020 sehen?
Ich wünsche mir, dass es dann ein substanzieller Teil des jüdischen Lebens sein wird, selbstbewusst und offen gegenüber allen Richtungen. Außerdem ist mir sehr wichtig, dass wir auch mit anderen Religionsgemeinschaften sprechen und ein Teil des gesellschaftlichen Diskurses werden können. Ich glaube, dass das Potenzial zur Etablierung des liberalen Judentums bei Weitem noch nicht ausgeschöpft ist.
Mit der neuen Vorsitzenden der Union progressiver Juden sprach Heide Sobotka.