München, Mitte August. Noch stehen die lichtdurchfluteten Räume im dritten Stock des »Prinz-Ludwig-Palais«, eines modernen Bürogebäudes in der Münchner Innenstadt, leer. Die neun Mitarbeiter, die künftig hier arbeiten sollen, sind noch nicht da, das Mobiliar wird erst noch geliefert. Nur einige Pakete aus Israel liegen im Eingangsbereich. Die Judaika sollen schon bald die Regale einer kleinen Bibliothek zieren.
Doch schon am 19. September will der künftige Hausherr, Gady Gronich, hochrangige Gäste aus dem In- und Ausland zur feierlichen Eröffnung des neuen Münchner Büros der Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) begrüßen. Bislang war die 1956 gegründete CER, der Dachverband von rund 800 orthodoxen Rabbinern, in London ansässig. Auch in Brüssel gab es eine Zeitlang eine Dépendance. Doch künftig wird die bayerische Landeshauptstadt Sitz der Rabbinerkonferenz samt ihrer neun Mitarbeiter der CER sein.
ISRAELI Von London wird allerdings niemand nach München umziehen müssen. CER-Geschäftsführer Gronich lebt schon seit vielen Jahren dort, saß in der Vergangenheit bereits im Vorstand der örtlichen Israelitischen Kultusgemeinde. Der gebürtige Israeli, der vor seinem Engagement bei den Rabbinern das Fundraising des Hadassah-Krankenhauses in Israel in den deutschsprachigen Ländern und in Osteuropa aufbaute, ist nicht nur in Bayern gut vernetzt. Die übrigen CER-Mitarbeiter werden aus Italien und Israel nach München kommen, sagt Gronich.
Die CER will direkt gegenüber der Bayerischen Landesbank Präsenz zeigen.
Dass erstmals seit der Schoa eine internationale jüdische Organisation ihren Hauptsitz in Deutschland nimmt – und das in der ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung« – ist in erster Linie sein Verdienst. Es war Gronich, der die Verantwortlichen im Freistaat überzeugte, künftig die Arbeit der Rabbinerkonferenz mit Mitteln aus dem Landeshaushalt zu unterstützen, und zwar nicht nur mit projektbezogener Förderung, sondern auch mit einem Zuschuss zu den Personal- und Betriebskosten. 1,5 Millionen Euro sind zunächst dafür vorgesehen, das sind rund zwei Fünftel des Gesamtbudgets der Organisation.
Die Idee zur dauerhaften Ansiedelung der Rabbinerkonferenz in München sei vor einigen Monaten aufgekommen, erzählt Gronich. Etwa 300 der rund 1000 Mitglieder des Verbands waren im Juni 2022 zu der alle zwei Jahre stattfindenden CER-Generalversammlung in die Stadt gekommen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), bei dem die CER sich kürzlich mit ihrem Lord-Jakobovits-Preis für sein Engagement bedankte, hatte den Vorschlag unterbreitet, die Veranstaltung doch regelmäßig in München abzuhalten, und dafür auch finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. Auch der bayerische Antisemitismusbeauftragte und Münchner Landtagsabgeordnete Ludwig Spaenle legte sich ins Zeug. Und die Rabbiner nahmen Söder und Spaenle beim Wort.
PROBLEME Nach Gesprächen mit der Staatskanzlei und dem Kultusministerium kam man dann aber überein, nicht nur punktuell CER-Veranstaltungen in München, sondern die Ansiedlung des Verbandes in der Stadt sowie seine Aktivitäten zu finanzieren.
Gady Gronich machte sich an die Arbeit, erarbeitete einen Finanzierungsplan und schaute sich nach geeigneten Miet- objekten im Münchner Raum um, was sich aber nicht ganz einfach gestaltete. Erst vor wenigen Wochen unterzeichnete er den Vertrag für die Büroräume im Prinz-Ludwig-Palais, in dem nicht nur das Konsulat Dänemarks, sondern auch die Bayern Tourist GmbH, eine Tochterfirma des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, ansässig ist. In den Seminarräumen im Erdgeschoss sollen künftig auch Veranstaltungen der Rabbiner stattfinden. Trotz gewisser Sicherheitsbedenken seitens der Polizei wollen Gronich und seine Mitarbeiter in dem modernen Gebäude direkt gegenüber der Bayerischen Landesbank Präsenz zeigen. »Ich wurde gefragt, ob es nicht besser wäre, wenn wir nur CER auf das Schild schreiben, wegen möglicher Schmierereien von Antisemiten und so weiter. Aber ich habe klar gesagt, dass wir den ganzen Namen draufschreiben. Wir wollen uns hier nicht verstecken.« Wohin er auch komme, stünden ihm die Türen offen; man werde »sehr herzlich« aufgenommen, betont der Geschäftsführer.
Besondere Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Büros vor Angriffen wird es trotzdem geben. Ausdrücklich lobt Gronich die enge Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landeskriminalamt.
Gefragt, ob es bei einigen Rabbinern auch Stirnrunzeln gegeben habe über das Vorhaben, nach Deutschland umzuziehen, antwortet er mit einem klaren Nein. Es gebe da keine Vorbehalte mehr, so Gronich, im Gegenteil: Man habe ein sehr gutes Gefühl bei dem Vorhaben.
Den bayerischen Ministerpräsidenten, der in den letzten Tagen um den richtigen Umgang mit seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger rang, lobt er: Ohne Söders Engagement wäre das Projekt nicht so schnell vorangekommen: Zwischen Idee und Umsetzung lagen gerade einmal 15 Monate.
Zu vielen europäischen Politikern unterhält Rabbiner Goldschmidt enge Kontakte.
Im Mai, anlässlich der Verleihung des Jakobovits-Preises, hatte auch CER-Präsident Pinchas Goldschmidt Söder mit warmen Worten bedacht. Bayern sei Vorbild für alle europäischen Länder, so Goldschmidt. »Herr Söder zeigt ein klares Bekenntnis zum jüdischen Leben und zur Zukunft der Juden in Bayern. Er hat ein Schutzversprechen gegeben: Bayern soll sicherstes Land für Juden in Deutschland sein«, so Goldschmidt im Interview mit der »tz München«. Der »Jewish Telegraphic Agency« sagte er: »Deutschland ist eines der wenigen Länder in Europa, in denen die jüdische Gemeinschaft noch wächst, und in denen das politische Umfeld den Aufbau jüdischen Lebens aktiv fördert.«
Auch Goldschmidt wird im Prinz-Ludwig-Palais ein eigenes Büro bekommen, es ist der größte Raum. Seit er im Zuge des russischen Einmarschs in die Ukraine im Frühjahr 2022 sein Amt als Oberrabbiner von Moskau aufgeben und Russland verlassen musste, lebt der 60-Jährige im Exil. Goldschmidt wurde in Zürich geboren, er hat Schweizer Vorfahren und spricht fließend Deutsch. Der Rabbinerkonferenz steht er bereits seit 2011 vor. Zu vielen europäischen Politikern unterhält Goldschmidt enge Kontakte, er gilt auch als guter Kenner der deutschen Politik.
In TV- und Zeitungsinterviews nimmt er regelmäßig kein Blatt vor den Mund und scheut sich auch nicht, politische Parteien, die er für gefährlich hält, offen anzugreifen. So nannte er den Aufstieg der AfD im Interview mit der »Deutschen Welle« eine »Schande«. Auch im interreligiösen Dialog hat sich Goldschmidt in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Er ist einer der Vorsitzenden des Muslim Jewish Leadership Council. Vor Kurzem übte der Rabbiner heftige Kritik an den jüngsten Spuckattacken auf Christen in Israel. Was man dort gegenwärtig an Anfeindungen gegenüber den Vertretern anderer Religionen erlebe, sei ein Spiegelbild der Spannungen in der israelischen Gesellschaft, so Goldschmidt.
ANLAUFSTELLE Doch die CER versteht sich nicht in erster Linie als politische Interessenvertretung. Sie will vor allem ihren Mitgliedern als Anlaufstelle dienen und hat deshalb einige Projekte aufgelegt, die den Gemeinderabbinern in der Diaspora dabei helfen sollen, den Arbeitsalltag besser zu bewältigen.
Auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland könnten davon profitieren. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, freut sich jedenfalls über die Ansiedelung der Rabbinerkonferenz in ihrer Heimatstadt. Eine »großartige Nachricht« sei das, sagte die 90-Jährige dieser Zeitung. »Mit dem Umzug der Rabbinerkonferenz wächst die Bedeutung Münchens für das jüdische Leben in Mitteleuropa noch einmal erheblich an. Dass ausgerechnet die Stadt, die ich noch als ›Hauptstadt der Bewegung‹ kennenlernen musste, heute zu einem Zentrum der jüdischen Gemeinschaft auf unserem Kontinent wird, macht mich glücklich und stolz.«