Die Kräfte der Natur machen von Dürre, Regenstürmen, gewaltigen nassen Winden, versengenden Sonnenstrahlen und extremer Kälte (...) Gebrauch, (...) – ein Zustand, verursacht durch Gottlosigkeit, der (...) mit der Macht einer Sturzflut über die kommt, über die diese Dinge hereinbrechen.»
Das Zitat ist nicht etwa die apokalyptische Beschreibung der Naturkatastrophen und extremen Stürme, die die schockierte Welt in den vergangenen Tagen und Wochen erlebte. Es stammt vielmehr von Philo, dem großen jüdischen Philosophen, der diese Worte vor mehr als 2.000 Jahren in Alexandria aufschrieb. Die Idee, dass menschliches Handeln das Wetter und die damit ein- hergehenden Naturgewalten beeinflussen kann, geht auf die Bibel zurück. So warnt uns der zweite Absatz des Schma Jisrael, des wichtigsten Gebets des Judentums, dass Gott moralische Vergehen mit schlechten Ernten bestraft.
Erderwärmung Lange Zeit war die Vorstellung einer göttlichen Abrechnung und Strafe für den größten Teil des Judentums von geringem Interesse. Die Menschen lebten in Städten und warteten nicht mehr jedes Jahr voller Ungewissheit, ob die Ernte gut ausfallen würde oder nicht. Die Reformbewegung entfernte diesen wesentlichen Absatz sogar aus der Liturgie. Vor einigen Jahren forderten Rabbinatsstudenten, die gestrichenen Passagen wieder aufzunehmen. Die jungen Leute waren der Überzeugung, dass die Erderwärmung ein klassisches Beispiel für unangemessenes menschliches Handeln ist, das genau die Art von katastrophalen Ergebnissen hervorbringt, vor denen die Bibel warnt. Die elementare Harmonie zwischen dem Planeten und seinen Bewohnern sei zerstört worden, und die furchtbaren Folgen könnten überall auf der Welt beobachtet werden.
Unser Verhältnis zur Umwelt wird wie alle komplexen Themen im Talmud diskutiert, an einigen fundamentalen Grundsätzen aber wird nicht gerüttelt. Von den Menschen wird erwartet, dass sie die Rolle des «Verwalters der Erde» übernehmen. Die Schöpfung darf nicht ausschließlich zum eigenen Vorteil genutzt werden, vielmehr wird erwartet, dass wir uns um diesen Planeten kümmern, der der Menschheit anvertraut wurde. Am besten bringt es das Gebot zum Ausdruck, dass wir den Garten Eden «bebauen und hüten» sollen (1. Buch Moses 2,15). So wie der Allmächtige an unserem Schicksal Anteil nimmt, muss die Menschheit die Natur mit Güte behandeln. Die Bilder von Millionen obdachloser Pakistaner und den verheerenden Waldbränden in Russland – extreme Wetter- ereignisse, die womöglich schwerwiegende Folgen des Klimawandels sind – fordern ebenso zu globaler Verantwortung auf wie die Ölpest im Golf von Mexiko.
Öko-Koscher Angesichts ihrer einzigartigen weltweiten Verbreitung und ihres uralten Engagements für ein nachhaltiges Leben sollten Juden an vorderster Front stehen bei den internationalen Anstrengungen, die Erde zu retten. Wir müssen in Sachen Wirtschaft und Fortschritt eine andere Richtung einschlagen. Das Judentum mit seiner Betonung auf Mizwot und menschlichem Handeln soll im Engagement für die Umwelt neue, persönliche Formen finden. Wenn zum Beispiel die weltweite Rindfleischindustrie von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN für 17 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich gemacht wird, ist es erforderlich, dass wir unseren persönlichen Rindfleischkonsum senken. Es reicht nicht aus, koscher zu essen – wir müssen «öko-koscher» leben.
Ähnliches gilt für die Mobilität. Die Strategie der Zukunft muss das Zufußgehen, Fahrradfahren und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in den Mittelpunkt stellen, nicht Benzin fressende Autos. Am Schabbat geht in Israel messbar die Luftverschmutzung zurück, da viele Menschen den siebten Tag als Rückkehr zum Garten Eden begehen – an dem Adam und Eva in Harmonie mit ihrer Umgebung und mit ihrem Schöpfer lebten. Das Judentum als Gemeinschaft kann sich auf vielfältige Weise für die Umwelt einsetzen. In Beer Sheva wird im kommenden Monat in einer Synagoge der Konservativen das erste solar betriebene Ewige Licht eingebaut. Es gibt keinen Grund, warum nicht jede Synagoge auf der Welt auf Sonnen- oder erneuerbare Energie statt auf fossile Brennstoffe setzen sollte – als symbolische Botschaft an die Mitglieder der Gemeinde. Nach Israel zu reisen, ist ein wichtiger Teil der modernen jüdischen Identität. Doch sollte jeder Besucher vom Jüdischen Nationalfonds Bäume kaufen, um die Emissionen seiner Flugreise auszugleichen.
Das Ausmaß der ökologischen Herausforderungen, vor denen die Welt heute steht, ist zu gigantisch, als dass sich die jüdische Gemeinschaft aus dem Umweltschutz heraushalten kann und darf. Die Tradition fordert, dass wir uns der Natur und ihrer unersetzlichen Schätze bewusst sind – und für sie tatkräftig Verantwortung übernehmen.
Der Autor ist Professor für Umweltpolitik an der Ben-Gurion-Universität Beer Sheva und ehemaliger Vorsitzender von Life and Environment, der israelischen Dachorganisation für Umweltvereinigungen.