Es stimmt: Die Zahl jüdischer Zuwanderer sinkt merklich. Das hat der Migrationsbericht der Bundesregierung noch einmal deutlich gemacht. Das kann bedeuten, dass die Zahl der Gemeindemitglieder in Deutschland stagnieren wird, vielleicht sogar abnimmt. Doch es stimmt auch, dass kein Grund zur Panik besteht, denn dieser Befund kann uns nicht überraschen.
In den 90er-Jahren kamen viele Juden aus den Staaten der früheren Sowjetunion zu uns. Sie kamen, weil sie triftige Gründe dazu hatten: politische Ungewissheit, ökonomische Sorgen und wachsender Antisemitismus.
Zuwanderer Die Motivation dort verbliebener Juden, ihre jeweiligen Länder zu verlassen, hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen; hinzu kamen noch bürokratische Hürden, die die Ausreise erschweren. Zugleich realisieren wir heute deutlicher als noch vor 20 Jahren, dass viele Zuwanderer, die unsere Gemeinden nicht nur vergrößert, sondern auch bereichert haben, der älteren Generation angehören.
Die jüdische Gemeinde in Deutschland ist alt geworden, aber sie wurde auch fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Es wird wohl zu einer räumlichen Konzentration kommen. Die starken Gemeinden in den Großstädten werden wachsen, denn die Kinder der Zuwanderer sind gebildet, haben gute Abschlüsse und suchen ihre berufliche Zukunft eher in urbanen Räumen als in der Provinz. Das bedeutet zugleich eine Schwächung der kleinen Gemeinden, aber: Die Kinder der Zuwanderer haben sich überwiegend für eine Bleibeperspektive in Deutschland entschieden.
Gelassen auf die Veränderungen zu reagieren, heißt nicht, gar nichts zu tun: Die bestehenden Strukturen müssen gestärkt, die Bildungsangebote sollten ausgebaut und die jüdische Erziehung weiter professionalisiert und attraktiver gemacht werden. Dann gibt es nicht nur weiter ein jüdisches, sondern auch ein starkes und selbstbewusstes jüdisches Leben in Deutschland.
Der Autor ist Professor für Interkulturelle Erziehung in Erfurt und Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat.