In den frühen Morgenstunden des 5. September 1972 drangen mehrere Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation »Schwarzer September« in das Olympische Dorf in München ein und nahmen elf israelische Athleten und Betreuer als Geiseln. Eine von ihnen wurde beim Versuch zu flüchten erschossen, ein angeschossener Israeli starb, weil die Terroristen keinen Arzt zu ihm vorließen.
Stundenlang verhandelten Polizisten und Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher mit den Terroristen. Ihnen wurde schließlich freies Geleit zum Flugplatz Fürstenfeldbruck zugesagt; mit einem Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes wurden sie und die neun Geiseln dorthin ausgeflogen.
desaster Doch die Einsatzkräfte von Bund und Land waren nicht gut vorbereitet. Eine hastig angeordnete Befreiungsaktion auf dem Rollfeld des Flugplatzes geriet zu einem Desaster, das auch heute, fast 50 Jahre später, nicht vollständig aufgearbeitet ist. Nicht nur fünf der Terroristen, sondern auch ein Polizist und alle neun Geiseln kamen bei der Aktion ums Leben. Drei Geiselnehmer konnten sogar aus München entkommen. Zwei von ihnen wurden Monate später von einer Spezialeinheit des Mossad getötet.
Die Einsatzkräfte von Bund und Land waren nicht gut vorbereitet.
Die Wettkämpfe gingen dagegen nach nur wenigen Stunden Unterbrechung weiter. »Die Spiele müssen weitergehen«, rief der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der greise Amerikaner Avery Brundage, bei der Trauerfeier am 6. September im Olympiastadion. Bis auf einen Athleten reisten dagegen alle Israelis aus Angst vor weiteren Angriffen aus der bayerischen Landeshauptstadt ab.
Doch auch nach den Münchner Olympischen Spielen zeigten weder die Politik noch die Justiz Interesse, den Mordanschlag aufzuarbeiten. Wichtige Dokumente wurden als geheim eingestuft und verschwanden in Aktenschränken, in denen sie zum Teil heute noch – für die Angehörigen der Opfer nicht zugänglich – liegen.
Auch das IOC versuchte jahrzehntelang, die Bedeutung des Terroranschlags herunterzuspielen. Erst vor einigen Jahren stimmte das Komitee einer offiziellen Gedenkfeier im Rahmen der Spiele zu. Zu groß war offenbar die Angst, den Zorn jener Ländern auf sich zu ziehen, die in Israel den Erzfeind sahen und das Attentat begrüßten.
gedenkzeremonie In München soll nun zum 50. Jahrestag bald wieder der Ermordeten gedacht werden. Doch es droht neues Ungemach: Ankie Spitzer, die Witwe des in München getöteten israelischen Fechttrainers André Spitzer, kündigte einen Boykott der Feier an, sollte Deutschland die Hinterbliebenen nicht endlich angemessen entschädigen.
Im Juni hatte sich der CSU-Politiker und bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle diesbezüglich an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt und eine angemessene »Entschädigung« angemahnt. Der bevorstehende Jahrestag des Attentats sei »die letzte Gelegenheit, mit einer Geste der Großzügigkeit die erlittenen Verluste der Angehörigen, ihre jahrelangen, häufig fruchtlosen Bemühungen um Gehör, um Anerkennung und Aufklärung wenigstens teilweise wiedergutzumachen«, schrieb Spaenle.
Noch ist unklar, ob die Familien an dem Gedenken im September teilnehmen werden.
Dem Brief zufolge zahlte die Bundesrepublik 1972 insgesamt 3,2 Millionen Mark (rund 1,6 Millionen Euro) »Entschädigung« an die Familien der Opfer. 30 Jahre später seien nochmals rund drei Millionen Euro vom Bund, dem Freistaat Bayern und der Stadt München gezahlt worden. Viel zu wenig, findet Spaenle.
Sein Anliegen stieß in Berlin auf offene Ohren. Die Bundesregierung habe, so ein Sprecher des Innenministeriums, »anlässlich des Jahrestages und noch immer offener Fragen der historischen Aufarbeitung und Einordnung« die Ereignisse und den Umgang mit ihnen »einer Neubewertung unterzogen«.
Man habe daher entschieden, die »gravierenden Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer in immaterieller und materieller Hinsicht erneut zu artikulieren und durch vollständige und umfassende Aufarbeitung der damaligen Ereignisse und durch erneute finanzielle Leistungen (…) den besonderen Beziehungen Deutschlands zum Staat Israel Ausdruck zu verleihen«, sagte der Sprecher dieser Zeitung. Derzeit liefen aber noch Gespräche mit den Vertretern der Opferfamilien.
verantwortung Die sind Medienberichten zufolge aber offenbar alles andere als harmonisch. Ein »Trinkgeld« sei die von Deutschland angebotene zusätzliche »Entschädigung«, kritisierte Ankie Spitzer. Das neue Angebot der Bundesregierung, das Ende Juli vom neuen deutschen Botschafter in Israel, Steffen Seibert, in der Botschaft in Tel Aviv vorgelegt worden war, sei »beleidigend« und wurde deshalb von den Opferfamilien abgelehnt. »Wir sind verärgert und enttäuscht.«
»Wir wollten nie öffentlich über Geld reden, aber nun sind wir gezwungen, es zu tun.«
Ankie Spitzer
Sollte es bei dem Angebot bleiben, würden die Angehörigen nicht zur Gedenkfeier zum Jahrestag des Attentats nach München kommen. »Wir wollten nie öffentlich über Geld reden«, so Spitzer, »aber nun sind wir gezwungen, es zu tun.«
Auch Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), hält das bisherige Angebot der Bundesregierung – im Gespräch sind Medienberichten zufolge insgesamt zehn Millionen Euro abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen – für »beschämend«.
Deutschland trage schließlich Mitverantwortung für das Attentat, daher sei eine höhere Entschädigung angemessen, sagte Beck dieser Zeitung. Fünf Jahrzehnte lang sei man mit den Angehörigen der Opfer wie mit lästigen Bittstellern umgegangen. »Man kann sich für das Verhalten von Bund und Land Bayern nur schämen«, unterstreicht Beck.