Herr Rabbiner, die Allgemeine Rabbinerkonferenz (ARK) hat mit »großer Bestürzung« auf die Presseberichte über die Vorgänge am Abraham Geiger Kolleg reagiert. Soll das heißen, dass Sie von den Vorwürfen überrascht wurden?
Ich hatte von außen eher beschränkte Einblicke in das Abraham Geiger Kolleg. Von den jetzt bekannt gewordenen Vorwürfen im Zusammenhang mit der sexuellen Belästigung von einem Studenten durch eine Lehrkraft habe ich bis vor Kurzem nichts gewusst.
Seit wann hatten Sie denn Kenntnis?
Mitte Dezember ist der betroffene Student auf mich zugekommen und bat um Hilfe. Daraufhin habe ich im Kolleg Auskunft verlangt und erfahren, dass der Fall schon seit 2019 behandelt wurde und arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen worden waren.
Davon haben Sie erst auf Nachfrage erfahren, obwohl Sie Senator des Kollegs sind?
Ich bin als Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz seit circa drei Jahren Vorsitzender der Ständigen Studienkommission für das jüdisch-geistliche Amt, ein Aufsichtsgremium, das die Lehrpläne beaufsichtigt, nichts mehr, und Ende des vergangenen Jahres in den Senat berufen worden.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe meine Erkenntnisse in einem einseitigen Brief an einen Hochschullehrer mitgeteilt. Nachdem ich erfahren hatte, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter beendet wurde, war die Angelegenheit für mich erledigt.
Der Mitarbeiter war danach aber weiter für die Rabbinerkonferenz tätig.
Erstens: Er ist lediglich im Rahmen von Einzelaufträgen als Honorarkraft für uns tätig gewesen. Zweitens: Er ist strafrechtlich nicht belangt und auch nicht verurteilt worden, er hat seine Schuld eingeräumt.
Aber was sagen Sie denen, die an Rabbiner neben strafrechtlichen auch und vor allem ethisch-moralische Maßstäbe anlegen?
Nichts. Das muss man einfach so sagen. Wenn man den Schaden hat, wird man klüger. Man muss Konsequenzen ziehen, muss überlegen, wie man etwas verbessern und sich professionalisieren kann. Mich ärgert natürlich, in Gremien zu sitzen und über so gravierende Vorgänge nicht informiert zu werden. Man wird sich neu aufstellen müssen.
Auch personell?
Wir sind am Anfang eines Prozesses. Es gibt eine Untersuchung, deren Ergebnissen man nicht vorgreifen kann. Nach wie vor gilt auch für Rabbiner Walter Homolka die Unschuldsvermutung. Man muss die Ergebnisse abwarten. Wir werden darüber auch ausführlich in der Allgemeinen Rabbinerkonferenz zu sprechen haben. Aber all denen, die jetzt aus diesem Kreis heraus behaupten, alles sei doch seit Jahren bekannt gewesen, kann ich nur erwidern: Dann hätte man einmal den Mund aufmachen müssen. Ich habe es nicht gewusst.
Mit dem ARK-Vorsitzenden sprach Detlef David Kauschke.