Frau Synenko, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) steht in Israel aktuell schwer in der Kritik, weil es von den rund 240 aus Israel nach Gaza verschleppten Personen bislang kein Lebenszeichen gibt. Was entgegnen Sie?
Wir haben rund 100 Mitarbeiter vor Ort, die unter extrem schwierigen Bedingungen arbeiten. Sie sind bestrebt, Zugang zu den Geiseln zu bekommen und ihr Schicksal zu klären. Wir haben gegenüber der Hamas und den anderen Gruppen auf Zugang gedrängt, auf verschiedenen Ebenen, und tun das weiterhin sehr hartnäckig. Doch bislang wurde unser Ansinnen immer wieder abgelehnt.
Hat das IKRK die Hamas auch darum gebeten, dass die Geiseln Nachrichten an ihre Familien übermitteln können?
Ja. Eines unserer Hauptanliegen ist es, den Angehörigen der Verschleppten Nachrichten zu überbringen über die Lage ihrer Liebsten. Bislang ist uns aber auch das noch nicht gelungen.
Sprechen Sie mit allen Gruppen, also auch solchen wie der Hamas, die international als Terrororganisationen eingestuft wird?
Ja, unsere Präsidentin, Mirjana Spoljaric, hat sich beispielsweise am Montag mit dem Hamas-Chef Ismail Haniyya in Katar getroffen. Wir sind als IKRK strikt neutral und haben eine ganz praktische Philosophie: Wir reden mit jedem, von dem wir glauben, dass er Einfluss auf die humanitäre Situation nehmen kann, also auch mit der Hamas.
Ist das IKRK in die Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln involviert?
Nein. Diese Verhandlungen sind politischer Natur. Als Rotes Kreuz bieten wir ausschließlich humanitäre Dienste an.
Israel wirft der Hamas vor, Krankenhäuser für militärische Zwecke zu benutzen. Konnte das IKRK dies bereits verifizieren?
Krankenhäuser stehen unter dem Schutz des humanitären Völkerrechts und müssen von Kampfhandlungen und jeglichem Missbrauch durch Konfliktparteien verschont bleiben. Wir prüfen, soweit das möglich ist, ob die Konfliktparteien vor Ort das humanitäre Völkerrecht und die Genfer Konventionen einhalten. Wenn festgestellt wird, dass eine Partei dagegen verstößt, setzen wir uns mit ihr in Verbindung. Das geschieht aber in einem vertraulichen Dialog und nicht in der Öffentlichkeit. Uns geht es vor allem darum, die Situation zu verbessern und das Fehlverhalten zu beenden.
Konnte das IKRK bereits die Lage im Shifa-Krankenhaus überprüfen, seitdem die israelische Armee dort die Kontrolle übernommen hat? Es wurden dort ja offenbar Geiseln festgehalten.
Wir haben momentan kein Personal im Shifa. Das letzte Mal konnten wir das Krankenhaus am 7. November besuchen, um dringende medizinische Hilfsgüter abzuliefern und sechs Krankenwagen von dort zum Grenzübergang Rafah zu eskortieren.
Mit der Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sprach Michael Thaidigsmann.