Vor Kurzem traf ich einen ehemaligen Mitschüler. Seine Familie ist während des Jugoslawienkriegs aus Bosnien nach Berlin geflohen. Er kam in meine Klasse – ohne auch nur ein Wort Deutsch sprechen zu können und ohne Aussicht auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Nun hat er ein deutsches Abitur in der Tasche und studiert.
Doch trotz solcher positiven Beispiele hört das Gemecker nicht auf: Migrantenkinder hätten zu geringe Sprachkompetenz, hieß es zuletzt wieder auf dem deutschen Demografiegipfel, ein Viertel bis ein Fünftel kommuniziere zu Hause nicht Deutsch, das sei alarmierend. Auch bei uns zu Hause wurde russisch gesprochen. Trotzdem, sagte mir mein bosnischer Freund, sei ihm immer klar gewesen, dass ich Abitur machen und studieren würde.
Wer in die jüdischen Gemeinden in Deutschland geht und Jugendliche meiner Generation trifft, hört sie untereinander vornehmlich auf Russisch kommunizieren: Nicht, weil sie kein Deutsch gelernt hätten oder immer noch nicht angekommen wären, wie Integrationsskeptiker behaupten könnten. Sondern weil die russische Sprache zu ihnen gehört wie auch der gesellschaftliche Aufstieg in ihrer neuen Heimat Deutschland. Ein Denkfehler ist weit verbreitet: Spricht man von Integration, ist in der Regel Assimilation gemeint.
hindernis Multikulti sei ja bekanntlich illusorisch, naiv und das Erlernen der Elternsprache vor der Landessprache in erster Linie Hindernis. Allerdings bestehen die jüdischen Gemeinden zu 90 Prozent aus Zuwanderern wie mir und meiner Familie, die eben genau das taten. Integrationsprobleme? Spätestens in meiner Generation faktisch nicht vorhanden. Ob es daran liegt, dass wir aus dem Ostblock kommen? Vielleicht. Nun war meiner Familie die marxistische Ideologie herzlich egal. Den in der Sowjetunion propagierten hohen Wert von Bildung fanden meine Eltern dennoch richtig.
Nachdem ich mich von meinem ehemaligen Mitschüler verabschiedet hatte, dachte ich nochmal über uns »neue Deutsche« nach. Ich bin in Berlin aufgewachsen, habe keine andere Heimat als diese Stadt. Das Herkunftsland meiner Familie gibt es, wie auch das meines Freundes, nicht mehr. Wir haben zuerst die Heimatsprachen unserer Familien erlernt, sind mehrsprachig aufgewachsen und bewegen uns zwischen Kulturen. Wir sind Brückenbauer und Fachkräfte – und haben die Migrationsskeptiker satt.
Der Autor studiert Sozialwissenschaften in Düsseldorf.