Interview

»Wir können etwas tun«

Yascha Mounk über Gefahren für die Demokratie

von Stefan Laurin  26.02.2018 16:35 Uhr

Yascha Mounk schrieb den Bestseller »Echt, du bist Jude?« und ist Politologe in Harvard. Foto: imago/ZUMA Press

Yascha Mounk über Gefahren für die Demokratie

von Stefan Laurin  26.02.2018 16:35 Uhr

Herr Mounk, Sie sagen, die Demokratien könnten unter dem Ansturm der Populisten so zusammenbrechen wie einst die Römische Republik. Steht es wirklich so schlecht?
Die Demokratie ist jetzt in Gefahr, das sieht man an Ländern wie Polen und den USA und auch am Erfolg der AfD in Deutschland. Die Annahme, die wir jahrzehntelang hatten, nämlich, dass die Demokratie so sehr gefestigt ist, dass wir uns um sie nicht mehr sorgen müssen, gilt in der Form nicht mehr. Aber ich bin insofern optimistisch, als ich glaube, es gibt noch viel, was wir tun können, um die Demokratie zu retten. Wir sind nicht machtlos.

Woher kommt die Gefahr, welche Fehler wurden gemacht?
Wir haben uns zu wenige Gedanken gemacht, was die wirtschaftlichen Grundbedingungen sind, die es braucht, damit unsere Demokratie stabil bleibt, und sind etwas ins Utopische abgerutscht. Gerade wenn es um so etwas wie das wirtschaftliche Wachstum geht, ist es natürlich verlockend zu sagen: »Na ja, vielen Menschen geht es doch gut, und die Umwelt ist natürlich auch etwas, das zu schützen ist. Warum geben wir nicht auf, mehr wirtschaftliches Wachstum haben zu wollen, und setzen andere Prioritäten?« Und dabei ist uns nicht mehr die Idee gekommen, dass wirtschaftliches Wachstum unglaubliche politische Stabilität mit sich bringt. Zum einen, weil es den Menschen die Sicherheit gibt, dass das politische System für sie funktioniert, dass die Politiker für sie liefern. Zum anderen, weil eine Gesellschaft ohne wirtschaftliche Dynamik jungen Leuten weniger Chancen bietet. Es ist dann schwierig, dafür zu sorgen, dass es genug Wohnraum oder Berufschancen gibt.

Trat man den »kleinen Leuten« gegenüber zu arrogant auf?
Selbst das hat ja wieder mit Konsum zu tun. Die Menschen, die am ehesten sagen: »Wir brauchen eigentlich kein wirtschaftliches Wachstum mehr in unserer Gesellschaft, Konsum ist überbewertet«, das sind oft Menschen, die in schönen großen Wohnungen in den angenehmeren deutschen Städten leben, die in teuren Biomärkten einkaufen gehen, die ihren Kindern teure Auslandsreisen finanzieren, um ihren Horizont zu erweitern. Die sind natürlich darüber erhaben, mit einem fetten Auto oder einer großen Goldkette anzugeben, und deshalb ist ihnen nicht einmal mehr bewusst, wie sehr das, was dazugehört zu diesem Milieu, dem dort üblichen literarischen Geschmack, auch vom Geld abhängt. Und wenn Menschen, die davon weit entfernt sind, von dieser Heuchelei etwas spüren, dann sind sie nachvollziehbarerweise verärgert.

Was kann man machen, was können die großen Parteien, die von der AfD herausgefordert werden, tun?
Es gibt zwei wichtige Normen in einer Demokratie: Erstens muss man sich gegenseitig tolerieren können. Ein überzeugter Sozialdemokrat ist natürlich der Ansicht, das Land wäre besser dran, wenn die CDU nicht regiert, aber gleichzeitig kann er zugeben, dass das Land nicht untergeht, wenn die CDU regiert. Und zweitens: Man schöpft die eigene Macht nicht bis zum Limit aus. Das bedeutet im deutschen Kontext, man macht im Bundesrat nicht Totalopposition und sorgt dafür, dass das Land unregierbar wird.

Destabilisiert unkontrollierte Einwanderung die Demokratie?
In Deutschland haben wir leider immer noch aus historischen Gründen die Vorstellung, dass Einwanderer generell minderqualifiziert sind. Ich glaube, das gesellschaftliche Miteinander würde sich verbessern, wenn das Gros der Einwanderer, die in den nächsten Jahren zu uns kommen, hochqualifiziert wäre. Allgemein müssen wir bei der Einwanderung verschiedene Aspekte betrachten: In einer liberalen Demokratie müssen wir alle Bürger gleichbehandeln. Wir können nicht sagen, nur Menschen einer bestimmten Ethnie oder solche, die einer bestimmten Religion huldigen, haben hier volle Rechte. Wir müssen uns ganz klar dagegen wenden, zum Beispiel Muslime auszugrenzen.

Wie bedrohlich ist die Debatte über Einwanderung und illegale Migration?
Auch wenn ich in diesem Punkt eine andere Meinung habe als viele andere Menschen und ich mir eine offenere Einwanderungspolitik wünsche: Wenn wir so etwas wie eine Diskussion über Einwanderung für demokratisch illegitim halten, wird es schwer, die wirklichen Gefahren zu sehen – wenn etwa unsere Mitbürger als illegal abgestempelt werden, oder wenn behauptet wird, Menschen einer bestimmten Hautfarbe oder Religion könnten per se keine Deutschen sein.

Viel Hass wird in den sozialen Medien verbreitet. Regulierungen gelten als die adäquate Antwort. Wie sehen Sie das?
In der Vergangenheit hatten Medienmacher viel mehr Macht, zu bestimmen, was Teil des politischen Diskurses war und was nicht. Das war zum Teil einschränkend, die alten Medienstrukturen haben auch berechtigten Ärger herausgefiltert. Aber zugleich wurden auch extreme Meinungen in Schach gehalten, und es war schwieriger, mit Falschmeldungen hausieren zu gehen. Das hat sich durch das Internet und die sozialen Medien verändert. Mittlerweile haben die Medien nicht mehr die Kontrolle darüber, welche Meinungen verbreitet werden können. Das bedeutet natürlich, dass in bestimmten politischen Kreisen keine Meldung mehr zu wild ist, um geglaubt zu werden. Dazu kommen Bots, die bestimmte Meinungen verbreiten und bedeutender erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit sind.

Lässt sich dagegen etwas unternehmen?
Ich habe die Befürchtung, dass wir der Versuchung erliegen könnten, die Meinungsfreiheit im Internet zu sehr zu beschränken. Aber diese Meinungsfreiheit sollte für Menschen gelten, nicht für programmierte Maschinen. Dass Twitter Tausende dieser Bots vor Kurzem abgeschaltet hat, war richtig. Twitter und Facebook sollten noch viel stärker gegen Bots vorgehen.

Am Anfang unseres Gesprächs sagten Sie, wir seien nicht machtlos. Was kann man jenseits von Verboten machen?
Solange die Menschen das Gefühl haben, dass der Staat nicht liefert, wenn die Schulen verkommen, wenn die Renten unsicher sind, dann wird die Versuchung, Populisten zu folgen, sehr stark sein. Aber wir können dafür sorgen, dass die Politik das Leben der Menschen verbessert und eine Vision vorgibt, wie das Land auch im Zeitalter der Globalisierung, die ich für richtig halte, die Kontrolle behält. Das fängt damit an, viel mehr Häuser und Wohnungen zu bauen, damit junge Menschen wieder die Hoffnung haben können, mit ähnlich viel Raum und auf dem Niveau ihrer Eltern leben zu können. Und das geht bis dahin, was der Staat tun muss, damit auch Unternehmen in Deutschland Steuern zahlen – egal, ob sie ihren Hauptsitz in Dublin, Luxemburg oder in Berlin haben.

Mit dem Politologen der Harvard University sprach Stefan Laurin.

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