Austausch

»Wir brauchen persönliche Begegnungen«

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (r.) und ihre israelische Amtskollegin Yifat Shasha-Biton Foto: Elad Malka

Es sollte der Beginn einer langen Freundschaft sein und gilt auch noch 60 Jahre später als Meilenstein der Aussöhnung zwischen zwei Völkern, die sich über die Jahrhunderte hinweg feindselig gegenübergestanden und mehrfach bekriegt hatten. Mehr als neun Millionen junge Menschen haben seit Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) 1963 an Austauschprogrammen teilgenommen, um Kultur, Sprache und Lebensart ihres jeweiligen Nachbarlandes besser kennenzulernen.

Das DFJW – eine gemeinsam von Frankreich und Deutschland gegründete zwischenstaatliche Organisation – war so erfolgreich, dass 1991 auch ein Deutsch-Polnisches Jugendwerk (DPJW) ins Leben gerufen wurde. Und auch mit Griechenland will die Bundesrepublik den Jugendaustausch fördern: Im vergangenen Jahr nahm das Deutsch-Griechische Jugendwerk seine Arbeit auf.

Jetzt haben die Regierungen Deutschlands und Israels vereinbart, dass es ein weiteres Jugendwerk geben soll. In Jerusalem unterzeichnete Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) jüngst gemeinsam mit ihrer Amtskollegin Yifat Shasha-Biton ein Memorandum of Understanding, mit dem das seit Längerem geplante Projekt bald konkrete Gestalt annehmen soll.

SKEPSIS Denn der Befund der jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den deutsch-israelischen Beziehungen ist eindeutig: Gerade die jüngere Generation der Deutschen blickt eher skeptisch bis ablehnend auf Israel – zum Missfallen der Bundespolitik. Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben in der Ende 2021 geführten repräsentativen Umfrage an, noch nie Kontakt mit Menschen aus dem jeweils anderen Land gehabt zu haben.

Zwar haben rund zwei Fünftel der Israelis bereits Deutschland besucht. Umgekehrt ließen sich aber nur sechs Prozent der befragten Deutschen zu einem Besuch nach Israel verlocken. Hinzu kommt: Eine touristische Reise führt nicht unbedingt zu einer hohen Zahl an persönlichen Begegnungen mit Einheimischen, und die Übernachtung im Hotel ist mit einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer Gastfamilie nicht gleichzusetzen.

Viele Experten empfehlen daher dringend, auf diese Weise deutlich mehr Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland und Israel miteinander ins Gespräch zu bringen. Zwar gibt es bereits einen vom Koordinierungszentrum ConAct organisierten Jugendaustausch zwischen beiden Ländern. Die Teilnehmerzahl von rund 7000 Personen pro Jahr ist da aber eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie sorgten darüber hinaus für einen deutlichen Rückgang der Begegnungen.

Jüngere Deutsche blicken eher skeptisch bis ablehnend auf Israel.

Politiker auf beiden Seiten streben deshalb seit Langem die Gründung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks an und drängen auf Fortschritte. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sprach in ihrer Begrüßungsrede für den israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog Anfang September das Problem offen an: »Wir brauchen die persönliche Begegnung für ein tiefgreifendes und auch nachhaltiges Verständnis füreinander«, sagte sie. Bas zitierte Herzogs Vater Chaim, der in seiner Rede vor dem Bundestag 1987 von einer »unsichtbaren Mauer zwischen unseren beiden Völkern« gesprochen hatte.

impulse Auch Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, glaubt, dass ein Jugendwerk positive Impulse setzen kann. »Die direkte Auseinandersetzung vor Ort kann Empathie fördern und ein Gegengewicht zum anti-israelischen Bias in Teilen der Presse bilden. Deshalb hat Deutschland bei der Unterstützung des Jugendwerks eine besondere Verantwortung.« Weil es immer weniger Zeitzeugen der Schoa und des Zweiten Weltkriegs gebe, brauche es »neue und zusätzliche Anknüpfungspunkte für den deutsch-israelischen Dialog«, sagte Beck dieser Zeitung.

Eigentlich wollte man bei dem Vorhaben schon viel weiter sein. Bereits 2018 hatten die damaligen Familien- und Jugendminister Franziska Giffey (SPD) und Naftali Bennett eine Absichtserklärung unterschrieben. Doch mehrere Parlamentswahlen und Regierungswechsel in beiden Ländern sowie die Pandemie ließen das Projekt ins Stocken geraten.

Jetzt haben beide Seiten den Faden wiederaufgenommen. Anlässlich der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding betonte Lisa Paus den »unbedingten Willen, die Erinnerung wachzuhalten – auch, weil es bald keine Zeitzeugen des Holocaust mehr geben wird«. Man wünsche sich, dass es für junge Menschen noch mehr Gelegenheiten geben werde, voneinander zu lernen, so Paus.

struktur Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) konnte auf Nachfrage noch keine genauen Angaben über die künftige Struktur, das Budget und die angestrebte Zahl der Begegnungen machen. Eine bilaterale Arbeitsgruppe soll nun die Einzelheiten besprechen. Neben der institutionellen Ausgestaltung des Jugendwerks ist offenbar auch die Frage der Finanzierung noch nicht geregelt. Dem Vernehmen nach will die israelische Seite erreichen, dass ein Großteil der Gelder für die neue Einrichtung – anders als beim DFJW und beim DPJW, welche beide paritätisch finanziert werden – von Deutschland bereitgestellt werde.

Insofern sind die bestehenden Jugendwerke auch keine Blaupausen für das deutsch-israelische Projekt. »Bei der Ausgestaltung der Zusammenarbeit sind auch die Besonderheiten und Interessen des Partnerlandes zu berücksichtigen«, teilte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen mit. Auch konkrete Zielvorgaben wollte er nicht nennen. »Die in Zeiten vor Corona üblichen Zahlen (7000 Teilnehmende pro Jahr) wollen wir wieder erreichen und deutlich erhöhen – in Abhängigkeit des noch zu verhandelnden Budgets«, so der Sprecher. Eine Einschätzung, bis wann die Verhandlungen zwischen beiden Seiten abgeschlossen sein werden, sei nicht möglich.

Immerhin: Die Idee, durch mehr Begegnungen zu einem besseren Verhältnis zwischen Israelis und Deutschen beizutragen, hat gerade Konjunktur. Ob das deutsch-israelische Jugendwerk tatsächlich verwirklicht wird und wann, steht dagegen weiter in den Sternen.

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