Frau Reimer-Gordinskaya, Ihre Kollegen vom Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Institut haben Ostdeutsche zu ihren politischen Einstellungen befragt. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stehen in Bezug auf rechtsextreme Einstellungen genau die Länder relativ weit vorne, in denen Wahlen anstehen. Insgesamt haben sieben Prozent der Ostdeutschen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Darüber hinaus gibt es eine Zustimmung von einem Viertel der Bevölkerung zu rassistischen und von einem Fünftel zu chauvinistischen Einstellungen. Hier sind Anschlussstellen für politisch rechte Mobilisierung. Ein Punkt macht aber auch hoffnungsfroh: Eine sehr große Mehrheit von 90 Prozent identifiziert sich mit der Idee der Demokratie.
Ein Drittel der Ostdeutschen stimmt der Aussage zumindest teilweise zu, Juden hätten zu großen Einfluss. Nimmt das Antisemitismus-Problem in Ostdeutschland zu?
Noch in den 1990ern schienen antisemitische Ressentiments in Westdeutschland stärker verbreitet zu sein. Bis 2012 hat es eine Angleichung gegeben. Während der Finanzkrise von 2008 erreichten die Werte in Ost- wie Westdeutschland ein ähnliches Plateau. Aktuell machen Zustimmungswerte von teils weit über 40 Prozent Sorge.
Woher kommen die Unterschiede zwischen Ost und West?
Dazu brauchen wir dringend mehr Forschung. Sicher ist, dass es in der DDR einen spezifischen Antisemitismus gegeben hat. Eine wichtige Frage ist, wie der sich in der Transformationsperiode von den 90er-Jahren bis heute tradiert hat, gerade mit Blick auf den israelbezogenen Antisemitismus vor dem Hintergrund der traditionell problematischen Wahrnehmung des Nahostkonflikts in Ostdeutschland.
Welche Rolle kommt dem Antisemitismus für die Mobilisierung antidemokratischer Kräfte zu?
Der Antisemitismus hat eine Brückenfunktion für unterschiedliche politische Milieus. Zum Beispiel für die verschwörungsideologische Mobilisierung, die nicht eindeutig rechts oder links eingeordnet werden kann. Diese Gemeinsamkeit, die auf der Straße entsteht, kann rechte Projekte auch in Parlamenten speisen. Und dass die in Regierungsverantwortung kommen können, ist eine reale Gefahr.
Welcher Handlungsbedarf ergibt sich aus den Ergebnissen der Studie?
Es braucht mehr regionalspezifische Forschung. Zudem müssen ganz konkrete Gegenstrategien vor Ort entwickelt werden. Die Maßnahmen, die auf Landesebene ergriffen worden sind, sind gut und richtig, aber offensichtlich bei Weitem nicht ausreichend.
Mit der Vorsitzenden des Instituts für demokratische Kultur und Professorin für Kindliche Entwicklung, Bildung und Sozialisation an der Hochschule Magdeburg-Stendal sprach Joshua Schultheis.