Österreich

Wiener Geschichten

»Österreich ist der Sicherheit Israels und seiner Bürger verpflichtet«: Bundeskanzler Sebastian Kurz am 12. Juni in Jerusalem Foto: dpa

Gäbe es Israel nicht, dann müssten Nichtjuden es erfinden. Kein Land eignet sich so gut als Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Vorurteile, Sehnsüchte und Ängste wie der jüdische Staat. Wie immer die politische Lage in Europa oder anderswo auch sein mag, auf die eine oder andere Weise lässt sich Israel auf jeden Fall ins­trumentalisieren, und sei dies noch so weit hergeholt. Wer die Hintergründe kennt, den erstaunt es demzufolge nicht, dass sich nun auch der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, immerhin Chef einer rechtspopulistischen Regierung, welcher auch die rechtsradikale FPÖ angehört, als Israelfreund präsentiert.

Die Israelreise von Kurz Mitte Juni könnte man aus offizieller israelischer Sicht als vorbildlich bezeichnen: In Jerusalem besuchte der österreichische Kanzler nicht nur Yad Vashem, sondern auch die Klagemauer, was für einen europäischen Politiker nicht selbstverständlich ist; er traf Schoa-Überlebende, unterschrieb ein Ab­kommen, das Yad Vashem den Zugang zum Österreichischen Staatsarchiv und eine engere Kooperation mit der Mauthausen-Gedenkstätte ermöglichen soll, traf Benjamin Netanjahu, zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, erklärte die Sicherheit Israels zu einem »nationalen Interesse Österreichs« und sprach von der »schweren Bürde der schrecklichen und beschämenden Verbrechen, die in der Schoa begangen wurden«. »Wir Österreicher wissen, dass wir für unsere Geschichte verantwortlich sind«, betonte der Kanzler.

us-botschaft Dass Kurz die palästinensischen Autonomiegebiete nicht besucht hat, ist genauso bezeichnend wie die Tatsache, dass der österreichische Botschafter in Israel bei der Eröffnung der neuen US-Botschaft in Jerusalem anwesend war (was von palästinensischer Seite nicht ganz zu Unrecht als unfreundlicher Akt wahrgenommen wurde).

Mag sein, dass sich Sebastian Kurz ehrlich bemüht, die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Israel zu verbessern, und dies obwohl (oder gerade weil!) das offizielle Israel weiterhin die FPÖ-Minister der österreichischen Regierung boykottiert und dem Antisemitismus mancher Vertreter dieser Partei mit scharfer Kritik begegnet. Viel wahrscheinlicher jedoch geht es Kurz weder um Israel noch um die jahrzehntelang geleugnete, inzwischen jedoch oft und gerne beschworene »historische Verantwortung« Österreichs.

Dafür spricht auch die Tatsache, dass zur Zeit ausgerechnet der iranische Präsident Rohani, ein Mann, der die Auslöschung Israels fordert und dessen Regime weltweit Terror exportiert, zu einem Staatsbesuch nach Österreich kommt und dort freundlich empfangen wird. Es geht Kurz – wie immer – um seine Klientel, bei der er zu punkten versucht, um jene bürgerlichen Wähler rechts der Mitte also, die ihn zum Kanzler gemacht haben, weil ihnen die FPÖ zu ruppig und zu radikal und alle anderen Parteien zu links erscheinen.

verbündete Dies sind Menschen, von denen sich manche noch vor wenigen Jahren mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen hervorgetan hatten, Menschen, die, wenn sie älter sind, einst Kurt Waldheim gewählt und vor der »Macht des Weltjudentums« gewarnt hatten, heute aber ihre Sites und Profile in sozialen Netzwerken mit Israelfahnen schmücken, Netanjahu bewundern und behaupten, Jerusalem sei unteilbar und werde für immer und ewig Israels Hauptstadt bleiben. Grund dafür ist meist die simple Vorstellung »Der Feind meines Feindes ist mein Freund«. Wer »den Islam« als gefährliche Ideologie, »den Muslim« als Feind und Flüchtlinge als Bedrohung ausmacht, ist oft gerne bereit, »die Juden« als Verbündete zu sehen.

Dass Israel keineswegs die Speerspitze in einem »Kampf gegen den Islam« ist, wie es sich die Rechten in Europa vorstellen, spielt keine Rolle. Mit einer pro-israelischen und scheinbar philosemitischen Haltung versucht man zudem, einerseits den Vorwurf des Rassismus, mit dem viele Rechte konfrontiert sind, zu entkräften, und sich andererseits jenen anzubiedern, denen man insgeheim weiterhin viel Macht und großen Einfluss in der Welt unterstellt.

Sebastian Kurz jedoch ist weder ein Antisemit noch ein Philosemit, er ist kein Rassist und schon gar kein rechter Ideologe, sondern betreibt schlichtweg das, was seine Wähler von ihm erwarten: Grenzsicherung, Abschottung, Stärkung der Na­tionalstaaten auf Kosten der EU, Islamfeindlichkeit und eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik, die den alten Geldeliten, Unternehmen und Konzernen zugutekommt. Diese Politik ist längst zeitgeistiger als jene der CDU oder gar die altbacken wirkenden Vorstellungen von Sozialdemokraten oder Liberalen in Europa.

europäische union Kein Wunder also, dass sich Kurz im Streit zwischen Seehofer und Merkel geschickt auf die »richtige Seite« geschlagen hat. Schließlich soll ja die EU auf österreichische Linie gebracht werden. Ostmitteleuropa und die konservativen Regierungen Westeuropas weiß Kurz ohnehin schon hinter sich.

Demzufolge muss er nur weiterhin konsequent und medienwirksam seine Linie verfolgen und die österreichische EU-Präsidentschaft, die am 1. Juli begonnen hat, mit der nötigen Professionalität und ohne allzu spektakuläre Ausritte und Ausrutscher seines rechtsradikalen Koalitionspartners über die Runden bringen. Ob die betonte Israelfreundlichkeit seiner Politik dabei als Zuckerguss oder als Feigenblatt oder als beides dient, ist letztlich nur eine Frage der Perspektive.

Der Autor ist Schriftsteller in Salzburg. Zuletzt erschien von ihm der Roman »Lucia Binar und die russische Seele«.

Debatte

Darf man Israel kritisieren?

Eine Klarstellung von Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  21.11.2024

Medienberichte

Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck im Alter von 96 Jahren gestorben

In der rechtsextremen Szene wird sie bewundert

 21.11.2024

Washington D.C.

US-Senat gegen Blockade einiger Waffenlieferungen an Israel

Eine Gruppe von Demokraten scheitert mit ihrem Vorstoß

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Russlands Krieg in der Ukraine

1000 Tage Krieg

Die Ukraine hat gerade ein bitteres Jubiläum begangen - 1000 Tage Krieg. Wie leben die Menschen dort, begleitet von so viel Tod und Zerstörung? Streiflichter von einem einzelnen Tag geben einen kleinen Einblick

von Illia Novikov  20.11.2024

Berlin

Prozess gegen Teilnehmer israelfeindlicher Uni-Besetzung eingestellt

Die Aktion an der Humboldt Universität bleibt auch wegen der dort verbreiteten Pro-Terror-Propaganda in Erinnerung

 20.11.2024

Meinung

Jung, jüdisch, widerständig

Seit dem 7. Oktober 2023 müssen sich junge Jüdinnen und Juden gegen eine Welle des Antisemitismus verteidigen

von Joshua Schultheis  20.11.2024

USA

Trump nominiert Juden für das Handelsministerium

Howard Lutnick ist Chef des New Yorker Finanzunternehmens Cantor Fitzgerald

von Andrej Sokolow  20.11.2024

Wien

IAEA: Iran will Uran-Produktion beschränken

Dabei hat das Mullah-Regime seinen Uran-Vorrat zuvor massiv aufgestockt

 20.11.2024