NS-Verfolgte

Einbürgerung wird erleichtert

Foto: Thinkstock

Die Bundesregierung will die Wiedereinbürgerung von Verfolgten des NS-Regimes und ihren Nachkommen in Deutschland erleichtern. An diesem Freitag werden durch zwei Erlasse rechtliche Lücken geschlossen, die in zahlreichen Fällen Einbürgerungen verhinderten. Das teilte das Bundesinnenministerium am Donnerstag mit.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte: »Deutschland muss seiner historischen Verantwortung gegenüber denjenigen gerecht werden, die als Nachfahren deutscher NS-Verfolgter staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben. Das gilt insbesondere für Personen, deren Eltern oder Großeltern ins Ausland flüchten mussten.«

Der Zentralrat der Juden begrüßt die neuen Erlasse zur Einbürgerung von NS-Verfolgten und deren Nachkommen.

erlasse Mit den am Freitag in Kraft gesetzten Erlassen schaffe die Bundesregierung »eine schnelle, unmittelbar geltende Regelung zum Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft für diese Betroffenen«, so Seehofer weiter.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte die neuen Erlasse zur Einbürgerung von NS-Verfolgten und deren Nachkommen. »Die Bundesregierung hat damit jetzt, nach vielen Jahren, verantwortungsvoll auf die nunmehr auch noch gestiegene Zahl von Einbürgerungsanträgen reagiert«,  sagte Zentralratspräsident Josef Schuster.

»Verfolgte und ihre Nachkommen«, erklärte Schuster, »die bislang aufgrund der zumindest moralisch ungerechten Rechtslage von der Einbürgerung ausgeschlossen waren, erhalten nun unter vereinfachten Bedingungen die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen.«

»Damit wird endlich eine Gerechtigkeitslücke geschlossen. Sollte sich in einigen Monaten erweisen, dass dennoch Verfolgte oder deren Nachkommen von der Einbürgerung ausgeschlossen bleiben, müsste eine gesetzliche Neuregelung geprüft werden«, so Schuster weiter.

Im Vorfeld des geplanten EU-Austritts Großbritanniens sind die Anträge auf Einbürgerung von Nachkommen NS-Verfolgter deutlich angestiegen.

Von der erleichterten Wiedereinbürgerung sollen unter anderem Nachfahren von Verfolgten profitieren, denen vor einer Ausbürgerung durch die Nazis die Flucht gelang und die später eine andere Staatsangehörigkeit annahmen. Dabei geht es um Juden, Roma und andere Menschen, die aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden.

Insbesondere im Vorfeld des geplanten EU-Austritts Großbritanniens sind die Anträge auf Einbürgerung von Nachkommen NS-Verfolgter wieder deutlich angestiegen. Nach 43 Anträgen im Jahr 2015 waren es 2018 dem Ministerium zufolge schon 1506 Anträge, nach einer vergleichbar hohen Zahl im Vorjahr. Bei einem Referendum in Großbritannien im Sommer 2016 hatte die knappe Mehrheit der Teilnehmer für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt.

Auslandsvertretung Wer als Nachfahre von NS-Opfern die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben möchte und im Ausland wohnt, kann sich ab diesem Freitag an eine deutsche Auslandsvertretung wenden. Menschen mit Wohnsitz in Deutschland können auf regulärem Weg einen deutschen Pass beantragen, für sie gilt die Neuregelung nicht.

Der Antrag ist kostenlos, andere Staatsangehörigkeiten kann man behalten. Betroffene müssen nachweisen, dass ihre Vorfahren während der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden oder zu Gruppen gehörten, die verfolgt wurden. Das kann Nachfahren von Juden betreffen, von Sinti und Roma, psychisch Kranken oder auch von Kommunisten oder anderen politischen Gegnern der Nationalsozialisten.

Neu ist, dass auch Nachfahren von Menschen, die ausreisten, bevor ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden konnte, leichter einen deutschen Pass bekommen sollen. Dies war bislang für Menschen, die nach 1971 geboren wurden, nicht mehr möglich. Zudem sollen auch Kinder Verfolgter profitieren, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 geboren wurden – sie waren bisher nicht erfasst.

LÜCKE Das Ministerium will zudem eine Lücke schließen, die auf eine frühere Regelung im deutschen Recht zurückging, die etwa eheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Frauen und ausländischer Väter schlechter stellte. Es geht um Menschen, die vor dem 31. März 1953 geboren wurden – bis dahin konnte die deutsche Staatsangehörigkeit nur durch den Vater vererbt werden. Auch diese Gruppe soll nun von den neuen Regeln profitieren.

Einfache Kenntnisse der deutschen Sprache und Lebensverhältnisse genügen, sie sollen im persönlichen Gespräch festgestellt werden.

Einfache Kenntnisse der deutschen Sprache und Lebensverhältnisse genügen, sie sollen im persönlichen Gespräch festgestellt werden. Dabei »ist eine wohlwollende Handhabung zugrunde zu legen«, heißt es in den beiden Erlassen. Wer schwere Straftaten begangen hat, hat indes schlechtere Chancen. Terroristen sind gänzlich ausgeschlossen.

Der leichtere Zugang zum deutschen Pass soll indes nicht unbegrenzt gelten. Kinder von Nachkommen NS-Verfolgter, die ab dem Jahr 2000 geboren wurden, sollen die Erleichterungen zwar nutzen können. Deren bereits geborene Kinder können aber nur mit eingebürgert werden, wenn sich die Eltern bis zum 1. Januar 2021 für eine Einbürgerung entscheiden.

Kritik Einem Vertreter von Betroffenen, die sich nach der relevanten Regelung im Grundgesetz »Article 116 Exclusions Group« nennen, reichen die Neuerungen nicht aus. Zwar seine die Erleichterungen hilfreich, sagte Sprecher Nick Courtmann der Zeitung »Die Welt«. »Aber eine ernste und echte Lösung des Problems kann nur eine Gesetzesänderung sein. Nur so wird den Betroffenen Rechtssicherheit geboten.«

Die deutsche Verfassung spricht den Nachfahren verfolgter Juden grundsätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft zu. In Artikel 116 des Grundgesetzes heißt es: »Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern.«  ag/dpa/epd

Lesen Sie mehr in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.

Washington D.C.

Trump-Berater: Hamas darf keine Rolle in Gaza spielen

Als Sicherheitsberater stand Mike Waltz früh für Trumps neue Regierung fest. In einem Podcast skizziert er schon einmal die Stoßrichtung der USA in Bezug auf die Lage in Nahost

 15.01.2025

Meinung

98-mal Hoffnung

Melody Sucharewicz sieht die Hamas entschieden geschwächt und bangt mit ganz Israel um die Geiseln in Gaza

von Melody Sucharewicz  15.01.2025

Würdigung

Argentiniens Präsident Milei erhält »jüdischen Nobelpreis«

Der ultraliberale Staatschef gilt als enger Verbündeter Israels und hat großes Interesse am Judentum. Das Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar will er für den Kampf gegen Antisemitismus spenden

von Denis Düttmann  14.01.2025

Berlin

Vereinigung fordert Ausschluss der AfD bei Holocaust-Gedenken

Die demokratische Einladungspraxis, alle im Parlament vertretenen Parteien einzubeziehen, sei für die NS-Opfer und ihre Nachkommen und für viele demokratische Bürger nicht mehr tragbar

 14.01.2025

New York

46 Prozent aller Erwachsenen auf der Welt haben antisemitische Ansichten

Die Anti-Defamation League hat 58.000 Menschen in 103 Ländern befragt

 14.01.2025

NRW

NRW-Leitlinien für zeitgemäßes Bild des Judentums in der Schule

Mit Büchern gegen Antisemitismus: NRW-Bildungsministerin Feller hat zwölf Leitlinien für die Darstellung des Judentums in der Schule vorgestellt. Denn Bildungsmedien seien ein Schlüssel zur Vermittlung von Werten

von Raphael Schlimbach  14.01.2025

Faktencheck

Hitler war kein Kommunist

AfD-Chefin Weidel bezeichnet den nationalsozialistischen Diktator als »Kommunisten«. Diese These wird von wissenschaftlicher Seite abgelehnt

 14.01.2025

Berlin

Wegen Gaza-Krieg: Syrer beschädigt erneut Gebäude im Regierungsviertel

Erst das Innenministerium, dann der Amtssitz des Bundeskanzlers: Zweimal binnen weniger Tage fasst die Polizei in Berlin einen Mann, der wegen des Gaza-Kriegs wütet

 14.01.2025

Studie

Frauen und jüdischer Widerstand bei Schulnamen unterrepräsentiert

Welche Persönlichkeiten prägen die Namen deutscher Schulen? Eine Studie zeigt: Pädagogen spielen eine große Rolle. Frauen und Juden eher weniger

 14.01.2025