Kremlchef Wladimir Putin mit blutroten Rosen und Nelken und eine Flugschau über dem Roten Platz - Moskaus Feiern zum 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Hitler fielen bescheiden aus.
Wegen der Corona-Pandemie ist das Land im Lockdown - die Weltkriegsveteranen sind wie alle in Moskau wegen Ausgangssperren zu Hause. Putin verneigte sich im leichten Regen in Moskau vor den 27 Millionen Opfern der Sowjetunion. Und er versprach seinen Landsleuten, die größte Militärparade der russischen Geschichte im Jubiläumsjahr des Endes des Zweiten Weltkrieges nachzuholen.
Es war ein ungewöhnlich stilles Gedenken am Samstag in Moskau, wo normalerweise am 9. Mai - dem heiligen Feiertag - Panzer und Raketen über den Roten Platz rollen. Hunderttausende sind sonst auf den Straßen unterwegs. Anders als im vorigen Jahr gab es diesmal eine Flugparade der Luftstreitkräfte, die viele Moskauer von den Balkonen aus oder im Fernsehen verfolgten. Die Stadt hatte es wegen Corona unter Androhung von Strafen verboten, auf der Straße zu feiern.
In Moskau erzählte der mit Weltkriegsorden dekorierte Veteran Nikolai Dupak schon vor dem Fest von seinem Kampf gegen die Deutschen. »Am Hals, an den Beinen und einer Hand wurde ich getroffen«, sagt der 98-Jährige. Der frühere Schauspieler lebt in Moskau mit Tochter und Enkel - und mit seinen Erinnerungen an die Sowjetunion unter ihrem Diktator Josef Stalin, der das Land 1945 mit den Alliierten Großbritannien und USA zum Sieg gegen Hitler führte.
»Allein hätten wir das nicht geschafft. Aber wenn es Stalin nicht gegeben hätte, dann gäbe es Russland und die anderen Länder heute nicht«, sagte Dupak. »Unser Volk hat so viele Opfer gebracht wie kein anderes Land im Kampf gegen Hitler. Sollten wir nie vergessen.«
So ähnlich äußerte sich auch Putin in seiner Rede im Alexandergarten in Moskau am Grab des Unbekannten Soldaten. Ursprünglich hatte er auf Bilder mit Staats- und Regierungschefs aus aller Welt gehofft. Sie sollten seine Position als Weltpolitiker stärken - nach außen, aber vor allem innenpolitisch, wie der Militärexperte Pawel Felgenhauer sagte. Am Tag des Sieges präsentiert Russland immer auch nukleare Interkontinentalraketen - zur Abschreckung.
Das Land hatte 2019 nach den USA, China und Indien die vierthöchsten Militärausgaben weltweit: 65,1 Milliarden US-Dollar. Putin sagte am Samstag auf dem Kremlgelände bei einer kleinen Parade mit dem Militär, dass die Streitkräfte auch weiterhin mit neuer Technik ausgerüstet würden. Seit langem versucht Präsident Putin mit seiner nationalpatriotischen Politik, das Land auf Basis dieser gemeinsamen Kultur der Erinnerung an den Weltkrieg zu einen. »Wir sind unbesiegbar, wenn wir vereint sind«, betonte er.
Für Russland ist der Tag des Sieges ein heiliger Tag – zur Erinnerung an die vielen Opfer der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweite Weltkrieg hier genannt wird. Familien gedenken ihrer Angehörigen, legen rote Nelken an Denkmälern und Gräbern nieder. Vielerorts erklingen Kampflieder von damals. Die Russen feiern den 9. Mai, der für viele wichtiger ist als Ostern, mit Festessen und Wodka. Gefeiert wird in Russland später als in Deutschland, weil die Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 zu einer Uhrzeit erfolgte, als in Moskau schon der neue Tag angebrochen war.
Kritik werfen Putin immer wieder vor, das Gedenken für seine politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Vor allem Polen und die baltischen Staaten, die der Sowjetunion wegen des Pakts mit Hitler-Deutschland die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geben, halten Feiern für deplatziert. Auch eine Entschließung des Europäischen Parlaments stieß in diese Richtung.
Wegen dieser Kritik sieht sich Russland unter Putin seit Jahren im Kampf gegen »Geschichtsfälscher«. Auch die letzten noch lebenden Soldaten der Roten Armee ärgern sich, dass ihre Rolle bei der Befreiung Europas von den Nazis im Ausland zunehmend weniger gewürdigt wird. Scharf protestierte Moskau immer wieder gegen die Entfernung von Weltkriegsdenkmälern in Mittel- und Osteuropa – wie zuletzt im Fall der Statue des Sowjetmarschalls Iwan Konew in Prag. Nicht wenige Tschechen fühlten sich durch Konew schmerzhaft an die von den Sowjets errichtete kommunistische Diktatur erinnert.
In Deutschland selbst hat die Wertschätzung der Verdienste der Roten Armee allerdings eine lange Tradition, wie am Tag der Befreiung am Freitag in Berlin deutlich wurde. Putin telefonierte zudem mit Kanzlerin Angela Merkel und erinnerte an das für Russen und Deutsche besondere gemeinsame Gedenken.
Auch der rüstige Kriegsteilnehmer Dupak in Moskau hegt keinen Groll gegen die Deutschen. Nach dem Krieg leitete Dupak lange das berühmte Taganka-Theater in Moskau, gab in Deutschland Gastspiele und spielte in vielen sowjetischen Filmen mit. Über die Deutschen im Nationalsozialismus sagt er heute: »Sie waren verblendet damals und besessen von der Idee, besser als alle anderen zu sein. Dafür haben sie brutal gekämpft. Aber wir haben sie besiegt.«