Wie habe er Juden in seiner Jugend in der DDR wahrgenommen, wollte Abraham Lehrer, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, gleich zu Beginn der zweiten Folge der Tachles Arena von Dietmar Bartsch wissen.
»In der vorpommerschen Kleinstadt, in der ich aufwuchs, spielte jüdisches Leben praktisch keine Rolle«, antwortete Bartsch. Was er über Juden wusste, habe er in der Schule gelernt. Israel sei dort allerdings als »imperialistischer Staat« präsentiert worden. Erst als er zum Studium nach Berlin zog, habe er einige wenige Juden kennengelernt.
Eine Israel-Reise als Bundestagsabgeordneter änderte für ihn dann jedoch sehr vieles, erinnerte sich der Linken-Politiker. Wichtig seien Gespräche mit Israelis, aber auch der Besuch israelischer Städte, die von der palästinensischen Terrororganisation Hamas mit Raketen beschossen worden sind. Dort hätte er, betonte Bartsch, die Angst der Israelis kennengelernt, die gerade ihr Leben gerettet hatten. »Ich kann jedem Heranwachsenden einen Besuch in Israel nur empfehlen. Es gibt nicht die Israelis, die Menschen sind dort so heterogen wie in Deutschland.«
STREIT Nach dem kurzen Begrüßungsgespräch mit Abraham Lehrer ging es für Bartsch in den Tachles-Talk mit der Journalistin Ilanit Spinner. Die wollte von dem Linke-Spitzenkandidaten wissen, wie koscher das Wahlprogramm seiner Partei ist und ob der Streit, der oft bei der Linken herrsche, nicht ein Problem für seine Partei sei. Bartsch entgegnete, ihm sei klar, dass Geschlossenheit und Glaubwürdigkeit den Wählern wichtig sind. »Ich finde aber, es ist ein Vorzug, wenn wir uns inhaltlich streiten. Ein Nachteil ist es, wenn der Streit persönlich wird.«
Der Linken-Politiker Bartsch wirft Innenminister Seehofer vor, nicht hart genug gegen die antisemitischen Ausschreitungen im Mai vorgegangen zu sein.
Was die Aussichten seiner Partei bei der Bundestagswahl angeht, gab sich Bartsch zuversichtlich: »Wir als Linke werden gebraucht.« Noch nie seien so viele Schulden aufgenommenen worden. Nun beginne die Diskussion, wer das bezahlen müsse. »Es gibt Überlegungen, im sozialen Sicherungssystem zu sparen oder das Renteneintrittsalter zu erhöhen.« Gegen eine solche Politik würde die Linke stehen, die auch als einzige Partei vor der Wahl eine klare Aussage mache: »Die Linke wird mit der Union auf keinen Fall eine Koalition eingehen.«
SICHERHEIT Ilanit Spinner erinnerte Bartsch an einen Tweet, den er während der antisemitischen Ausschreitungen auf deutschen Straßen im Mai abgesetzt hatte und in dem er Innenminister Seehofer aufgefordert hatte, dem Judenhass endlich etwas entgegenzusetzen. »Wie hätten Sie gehandelt?«, wollte die Journalistin nun vom Fraktionsvorsitzenden wissen.
»Ein Innenminister«, sagte Bartsch, »ist für die Sicherheit zuständig. Wenn israelische Fahnen verbrannt und Juden heftigst judenfeindlich beschimpft werden, ist das nicht zu akzeptieren.« Dagegen vorzugehen, sei die Aufgabe eines Innenministers.
Bartsch forderte, dass Polizisten mehrsprachig ausgebildet werden müssten, damit sie antisemitische Beschimpfungen auch in anderen Sprachen als Deutsch verstehen könnten. Die Polizei müsse zudem unnachgiebig die Gesetze der Bundesrepublik anwenden. Antisemitismus sieht Bartsch allerdings als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart gehöre.
Bartsch bekannte, dass es bei der Linkspartei auch Antisemitismus gibt.
Komplizierter wurde es für den Linken-Realo Bartsch, als Spinner ihn fragte, was er von der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hält, die von vielen Linken abgelehnt wird. Für ihn selbst habe sie Gültigkeit, aber Definitionen seien ja immer umstritten: »Ich will keinen wissenschaftlichen Diskurs treiben, denn es geht um die Substanz.« Antisemitismus sei kein Problem, das durch die Migranten nach Deutschland gekommen ist. »Es ist ein tief verwurzeltes Problem.« Und es habe auch nichts mit Israel zu tun: »Antisemitismus gab es schon, als an Israel nicht zu denken war.«
Zu der Frage, warum die Linke sich als einzige Partei in Berlin gegen ein Verbot der palästinensischen Terrororganisation PFLP gestellt habe, mochte sich Bartsch nicht äußern, er sei nicht im Thema.
Gaza-Flottille Allerdings machte er klar, dass es auch Antisemitismus bei der Linkspartei gebe, obwohl sich Fraktion und Parteiführung eindeutig dagegen positioniert hätten: »Es gibt die These, Antisemitismus könne nicht links sein. Das kann er sehr wohl.« Ausschlussverfahren von offen gegen Israel hetzenden Politikern wie dem ehemaligen Duisburger Fraktionsvorsitzenden Hermann Dierkes seien allerdings gescheitert. Politikerinnen wie Annette Groth und Inge Höger, die 2010 an der »Gaza-Flottille« gegen Israel teilgenommen hatten, wären allerdings nicht mehr in den Bundestag gewählt worden, so Bartsch.
Was Bartsch nicht sagte: Höger zog 2013 ein weiteres Mal für die Linke in den Bundestag ein und führte dann noch von 2018 bis 2020 den nordrhein-westfälischen Landesverband der Linken an. Konsequentes Eintreten gegen Israelhass sieht anders aus.
Als Ilanit Spinner Dietmar Bartsch fragte, wie er zur israelfeindlichen BDS-Kampagne stehe und warum seine Fraktion als einzige nicht den Beschluss des Bundestags gegen die antisemitische Kampagne mittrage, erklärte Bartsch dies damit, dass die Linke von den anderen Fraktionen nicht eingebunden worden sei. Er selbst lehnt BDS ab: »Aus historischer Verantwortung müssen wir eine solche Kampagne ablehnen. Sie erinnert viel zu stark an den Satz ›Kauft nicht bei Juden‹.«
»Aus historischer Verantwortung müssen wir eine Kampagne wie BDS ablehnen.«
Aber auch israelische Juden würden sich bei BDS engagieren, auch viele linke Parteien aus Europa unterstützten die Kampagne. »Ob ich alle, die sich dort engagieren, als Antisemiten bezeichnen würde? Da würde ich Nein sagen.«
Unterstützung sagte Bartsch hingegen den 70.000 von Altersarmut betroffenen Juden zu, die aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind. Ein gemeinsamer Antrag von FDP, Grünen und Linken hatte im Bundestag zwar keine Mehrheit gefunden, sagte Bartsch, aber er sei »hoffnungsvoll, dass es bis zur nächsten Legislaturperiode eine Lösung gibt«.