Der israelische Pavillon ist nicht leicht zu finden. Er liegt unauffällig in einem schattigen Durchgang. Die Tür ist geschlossen. Ein Wachmann sitzt davor. »It’s closed today«, sagt er. Ich solle morgen wiederkommen.
Ich bin irritiert. Nebenan residieren die USA, der deutsche Pavvillon liegt ein paar Schritte entfernt. Überall stehen die Türen offen, gehen Menschen geschäftig ein und aus. Bei den Australiern hat sich eine Warteschlange von der Kaffeebar bis nach draußen gebildet. Dass es hier den besten Kaffee auf der COP28 gibt, der Weltklimakonferenz in Dubai, das hat sich rumgesprochen.
Ob etwas mit den Israelis geschehen sei, frage ich besorgt den Mann von der Security. Der zuckt die Achseln: »I don’t know. Come tomorrow!« Dann durchzuckt es mich. Welchen Tag haben wir? Schabbes!
Bist Du blöd, rufe ich mir zu. So unscheinbar wie der Auftritt Israels auf der COP auch sein mag, das Alleinstellungsmerkmal, an einem Tag den Pavillon zu schließen, egal was der Rest der Welt macht, das haben sie.
Als ich am nächsten Tag wiederkomme, sitzt der Mann dort noch immer. »Still closed?«, frage ich. Er schüttelt den Kopf und drückt die Tür auf. Drinnen sitzen fünf einsame Menschen im Halbdunkel und essen ein Reisgericht von Papptellern. Ein paar Stühle, Tische, darauf Broschüren, ein toter Bildschirm, eine wenig einladende, düstere Atmosphäre.
»Chag Chanukka sameach«, reiche ich dem Herrn, der auf mich zukommt und sich als Chef des Pavillons zu erkennen gibt, die Hand. Nein, sagt er, es habe keine Anfeindungen gegeben bisher. Direkt gegenüber hätten die Gastgeber, die Vereinigten Arabaischen Emirate ihren Pavillon. »Sie sind sehr gut zu uns. Wir fühlen uns absolut sicher.«
Ich entspanne mich. Seit 2009 nehme ich als Journalist an den Weltklimakonferenzen des UN-Klimasekretariats UNFCCC teil. Noch nie waren die Proteste der internationalen Klimaschutzbewegung so aggressiv wie in Dubai. Der Geist Greta Thunbergs hat die Klimademos okkupiert, die täglich auf dem Konferenzgelände stattfinden. Statt Saudi Aramco, Exxon, Chevron, Shell oder PetroChina heißt der Feind jetzt Israel.
Der Dachverband Climate Action Network International, abgekürzt CAN, dem nach eigenen Angaben über 1800 Organisationen in 130 Ländern angehören, vergibt seit zwei Jahrzehnten an jedem Konferenztag pünktlich um 18 Uhr Ortszeit den Negativpreis »Fossil of the Day«.
Es ist ein witziges Event. Der Moderator kommt als Zorro verkleidet. Ein Darsteller, der das Land verkörpert, das den Preis erhält, pellt sich aus einem Dino-Kostüm und nimmt unter johlendem Gelächter das »Fossil« entgegen, während das Urteil der Jury verlesen wird.
Der Staat, der aktuell die Klimaverhandlungen am heftigsten stört, bremst, sabotiert, wird ausgebuht und an den Pranger gestellt. Es liegt in der Logik des Klimawandels, dass es am häufigsten Industrieländer trifft, die USA, die EU, Kanada, Australien, aber auch Russland, China, die Ölstaaten selbstverständlich, vor allem Saudi Arabien.
Es ging beim »Fossil of the Day« eigentlich immer um Klimaschutz – bis zum Abend des 8. Dezember 2023, Erev Schabbat. Da steht plötzlich Israel am Pranger. Klar, der Pro-Kopf-CO2-Fußabdruck der Israelis ist ähnlich groß wie der deutsche. Die israelische Klima-Performance hat Luft nach oben. Israel verfeuert gerade im Energiesektor deutlich mehr Kohle und Gas als Deutschland, hat umgekehrt noch viel zu wenig erneuerbare Energien am Start.
Doch um Israels Klimapolitik geht es nicht. »There is no climate justice without human rights«, skandieren die Klimaaktivisten. Befänden wir uns nicht auf exterritorialem UN-Gelände, würde die Aktion in Windeseile von der emiratischen Polizei abgeräumt, denn für Menschenrechte kann man in den VAE nicht demonstrieren. Doch ginge es beim »Fossil of the Day« um Menschenrechte, müssten Länder wie der Iran, Afghanistan, Burkina Faso oder Venezuela die Hitliste anführen.
Zwei Tage später rastet die Klima-Szene völlig aus. Erneut wird Israel zum »Fossil«. Dieses Mal wegen angeblicher »ethnischer Säuberungen in Gaza« und einer »eliminatorischen Kriegsführung«. Die Vetreter der deutschen Mitgliedsorganistationen von CAN, darunter Greenpace, der WWF, die Deutsche Umwelthilfe, die Welthungerhilfe, Brot für die Welt, Misereor, Oxfam, Care, das Öko-Institut, der Nabu, der BUND und Germanwatch sehe ich nicht unter den Applaudierern. Sie schweigen, gehen auf Tauchstation, ein paar wirken erschrocken.
Nachdem ich auf X (vormals Twitter) öffentlich die Frage stelle, wie sich Israelhass und Klimaschutz vereinen lassen, spricht mich eine deutsche Vertreterin vertraulich an.
Ihre Stimme bebt. Die Südafrikanerin Tasneem Essop, Generalsekretärin von CAN, sagt sie, führe seit Jahren einen persönlichen Kreuzzug gegen Israel. Jetzt sehe sie ihre Zeit gekommen. Wer ihr in internen Sitzungen widerspreche, auf den Terror der Hamas verweise, die israelischen Geiseln erwähne, werde niedergebrüllt wie einst die Angeklagten vor dem deutschen Volksgerichtshof. Dabei habe sie die Mehrheit der internationalen Klimabewegung hinter sich. Sie betont: »Denen geht es nicht um den Schutz palästinensischer Zivilisten, die stehen klar auf der Seite der Hamas.«
Tagsdrauf höre ich, dass sich ein paar Deutsche aus Gremien von CAN zurückgezogen hätten. Austreten mag keiner. »Nie wieder ist jetzt« - eine wohlfeile Floskel.
Nach dem Ende der Weltklimakonferenz spaziere ich über das Gelände. Menschenleere, wo eben noch Zehntausende umherhasteten. Die Tür des israelischen Pavillons steht offen. Zwei Männer stapeln Stühle. »Am Israel chai!« hat jemand mit blauem Filzstift an die Wand gekritzelt.
Der Autor ist Redakteur beim WDR in Köln und Autor des Bestsellers »Der Jude mit dem Hakenkreuz: Meine deutsche Familie«.