Bei der Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit können nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Elke Gryglewski auch die Nachkommen von KZ-Überlebenden eine wichtige Rolle spielen.
AUSWIRKUNGEN Besonders für junge Menschen sei es sehr eindrücklich, wie es für jemanden war, mit einem Vater oder einer Mutter aufzuwachsen, die den Horror von Verfolgung und Haft erlebt haben. »Das macht deutlich, die Geschichte hat heute noch Auswirkungen«, sagte die künftige Leiterin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Gryglewski leitet die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin kommissarisch und tritt zum Januar 2021 an die Spitze der Stiftung in Celle, zu der auch die Gedenkstätte Bergen-Belsen gehört. Noch gebe es vergleichsweise viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen als Kind überlebt hätten, sagte sie. Wichtig sei es, Begegnungen mit ihnen zu ermöglichen: »Die Lücke, die sie hinterlassen werden, wird sich nicht schließen lassen.«
MECHANISMEN In der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte sei es zudem zentral, sich mit den Strukturen und Mechanismen auseinanderzusetzen, die eine systematische Ausgrenzung von Menschen überhaupt erst möglich gemacht hätten, betonte Gryglewski. Es gelte zu verstehen, warum Bürger in ihren Nachbarn auf einmal die »Anderen« gesehen hätten.
Wenn in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie Veranstaltungen ausfallen müssen, mit denen Initiativen an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erinnern, werde damit ein Teil der Gedenkkultur weniger sichtbar, sagte sie. In der Reichspogromnacht wurden Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet und jüdische Bürger misshandelt und getötet. Daran erinnern zum Beispiel Mahnwege entlang von Stolpersteinen, die vor den letzten Wohnorten von Opfern verlegt wurden.
DIGITALE FORMATE Vielerorts seien in diesem Jahr auch digitale Formate des Gedenkens entwickelt worden, die durchaus auf Interesse stießen, erläuterte die Politikwissenschaftlerin. Zu den Jahrestagen der Befreiung der Konzentrationslager hätten gerade viele junge Menschen die Beiträge abgerufen: »Zuhause am Computer klicke ich das vielleicht eher an, als dass ich mich auf den Weg zu einer Veranstaltung mache.«
Allerdings hätten die Gedenkveranstaltungen auch etwas Verbindendes, was nun verloren gehe. In einer Zeit, in der Vertreter der AfD eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur forderten, gebe das gemeinsame Gedenken Rückhalt. »Dabei gibt es immer wieder auch neue Gesichter«, sagte Gryglewski. »Wir beobachten nicht, dass die Veranstaltungen kleiner werden.«
Gryglewski bezeichnete es als sinnvoll, wenn Jugendliche im Laufe ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte besuchen. Die große Mehrheit habe daran auch ein Interesse. Allerdings sollten Lehrerinnen und Lehrer schon bei der Planung die Klasse mit einbeziehen. »Ich halte nichts davon, wenn die Jugendlichen gezwungen werden«, betonte sie.