Provenienz

Wessen Picasso?

Hängt in der Pinakothek der Moderne: das Gemälde »Madame Soler« (1903) von Pablo Picasso Foto: dpa

Das Bild zählt zu den Hauptwerken der »Blauen Periode« von Pablo Picasso, also jener frühen Schaffensphase des Künstlers, in der er unter anderem den Tod eines Freundes in melancholischen, blau-monochromen Figuren verarbeitete. Die Rede ist von »Madame Soler«, einem 1903 entstandenen Gemälde, das 1964 von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen aufgekauft wurde und seither in München hängt. Und es hat eine Geschichte, die Rechtsanwälte, Restitutionsexperten und Kunsthistoriker schon lange beschäftigt.

»Das Porträt gehörte zu einem Konvolut von insgesamt fünf Picasso-Gemälden, die Paul von Mendelssohn-Bartholdy 1934 unter Druck hatte abgeben müssen«, skizziert Julius Schoeps die Hintergründe. »Damals musste der jüdische Bankier und Kunstsammler sich von insgesamt 16 Bildern trennen«, so der Historiker und Vorstandsvorsitzende der Moses Mendelssohn Stiftung in Berlin.

Mendelssohn-Bartholdy, ein Neffe des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und Nachfahre des Aufklärungsphilosophen Moses Mendelssohn, hatte vor seinem Tod im Jahr 1935 einige seiner Bilder dem Kunsthändler Justin Thannhauser übergeben, damit dieser sie ins Ausland schafft. Und das ist bereits ein ganz zentraler Aspekt des Streits. »›Madame Soler‹ war zwar im Besitz von Thannhauser gewesen, aber es handelte sich keinesfalls um sein Eigentum, als es 1964 von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen erworben wurde«, betont Schoeps, der die Erbengemeinschaft Mendelssohn-Bartholdys vertritt. »Das Bild befand sich nur in Kommission von Thannhauser.«

ANKAUF In München argumentiert man, dass der Erwerb völlig korrekt gewesen sei. »Aufgrund der uns vorliegenden Dokumente und auf Grundlage der Recherche lehnten die Bayerischen Staatsgemälde­sammlungen 2010 die Restitutionsforderung der Erben nach Mendelssohn-Bartholdy ab, da sie der Ansicht sind, dass es sich nicht um einen verfolgungsbedingten Verkauf handelt«, erklärte 2011 Klaus Schrenk, ihr damaliger Generaldirektor.

»Der Ankauf seitens der Bayerischen Gemälde­sammlungen 1964 ist zwar erfolgt, aber in der Stellungnahme wird suggeriert, dass das Bild Eigentum von Justin K. Thannhauser gewesen sei«, hieß es dazu in einer Replik der Erbengemeinschaft. »Letzteres war nicht der Fall, denn es liegen weder Quittungen noch sonst irgendwelche Belege vor, die einen Ankauf von Thannhauser bestätigen könnten.«

Darüber hinaus war es in den Vereinigten Staaten in der Vergangenheit bereits mehrfach zu einer Einigung zwischen der Erbengemeinschaft und den Institutionen gekommen, die ebenfalls Gemälde aus der Sammlung von Mendelssohn-Bartholdy in ihren Beständen hatten, und zwar dem Museum of Modern Art in New York, dem Guggenheim Museum sowie der Sir Andrew Lloyd Webber Art Foundation.

VERGLEICHE Vorangegangen war die Entscheidung eines Bundesgerichts in New York von 2009, in der noch einmal ausdrücklich betont wurde, dass Paul von Mendelssohn-Bartholdy die Werke aufgrund der Bedrohungssituation im nationalsozialistischen Deutschland an den Kunsthändler weitergegeben habe.

»In allen drei Fällen verzichteten die Erben auf die Herausgabe der Bilder«, so Schoeps. Man hatte sich auf Vergleiche einigen können. Und erst vor wenigen Wochen restituierte die National Gallery of Art in Washington »Tête Femme«, ein weiteres Picasso-Gemälde aus der ehemaligen Mendelssohn-Bartholdy-Sammlung. Das Museum habe so die Kosten eines Rechtsstreits vermeiden wollen, hieß es dazu im »Wall Street Journal«.

Mitunter ist zu hören, es handele sich um den »letzten Akt der Arisierung«.

Seit Jahren versucht die Erbengemeinschaft, den Fall »Madame Soler« vor die »Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz« zu bringen, die 2003 eigens für Streitigkeiten dieser Art eingerichtet wurde.

Doch die Sache hat einen Haken: Beide Parteien müssen sich darüber verständigen, die Beratende Kommission anzurufen, damit sie dann eine Empfehlung aussprechen kann. Weil die Bayern stets mauerten, konnte genau das aber nicht geschehen.

ANRUFUNG Dabei hatte Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur im Kanzleramt, schon im November 2018 die Möglichkeit einer einseitigen Anrufung ins Spiel gebracht. Auch Bernhard Maaz, jetziger Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, signalisierte damals Kompromissbereitschaft.

Ferner bekräftigte ein Antrag von CDU/CSU und SPD im Bundestag vom September 2019 noch einmal, dass die einseitige Anrufung durch Anspruchsteller zumindest in den mit Bundesmitteln geförderten Museen gestattet sein sollte. Doch das war es bis dato – konkret geschah nichts.

Das könnte sich nun ändern, so die Hoffnung der Erben. Denn am 24. Juni sollten die Ergebnisse der Zusammenkunft der Beratenden Kommission verkündet werden.

Zu oft setzte man auf Verzögerungstaktik oder zweifelte die Zuständigkeit ausländischer Gerichte an.

»Seit Jahren schon kämpfen die Erben nach Paul Mendelssohn um die Rückgabe von Picassos ›Madame Soler‹«, so Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland. »Mit der Einführung des einseitigen Anrufungsrechts für Nachfahren von NS-Opfern an die Beratende Kommission wurde der Weg für eine faire und gerechte Lösung geebnet. Jetzt ist es an den kunstverwaltenden Ins­titutionen, diesen Weg auch zu beschreiten! Das Vertrauen der Opferseite in die Arbeit der Beratenden Kommission würde sonst nachhaltig beschädigt.«

ZWEIFEL Manche Opfer und ihre Nachkommen, die heute in den Vereinigten Staaten, Lateinamerika oder Australien leben und sich in der Vergangenheit um eine Restitution von geraubten Bildern und Kunstgegenständen in Deutschland bemüht hatten, haben längst aufgegeben, berichtet Schoeps. »Zu oft setzte man auf Verzögerungstaktik oder zweifelte die Zuständigkeit ausländischer Gerichte an.« Auf diese Weise sind viele entmutigt worden.

Deutschland zeige nur wenig Bereitschaft, die Washingtoner Erklärung von 1998 umzusetzen, so die Erfahrungen. Auch fehlten Erben nicht selten die Mittel, überhaupt vor Gericht zu gehen. Und der Wille einiger Museen zur Herausgabe von Raubkunst sei nur bedingt vorhanden. Verbitterung klingt deshalb in manchen Äußerungen durch. Es handele sich, so ist mitunter zu hören, um den »letzten Akt der Arisierung«.

Sabine Brandes

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