Eis und Schnee, Hunger, extreme Erschöpfung - das waren die Bedingungen, unter denen die Nationalsozialisten noch kurz vor dem Zusammenbruch ihres Regimes massenweise Häftlinge aus Lagern in den von Deutschland besetzten Gebieten trieben. Auf Todesmärsche, deren Name auch genauso gemeint war: Die Frauen, Männer und sogar Kinder sollten sterben und die Lager bei der nahen Ankunft der Roten Armee weitgehend leer und zerstört sein. Die Nazis wollten Spuren und Zeugen ihrer Verbrechen beseitigen.
Es gibt nur wenige Schwarz-Weiß-Fotos von diesen Trecks, die meist heimlich von Augenzeugen gemacht wurden. Darauf sind etwa Menschen in dünner, gestreifter Häftlingskleidung zu sehen, manche eingehüllt in Decken, oft nur mit Holzpantinen an den Füßen, ohne Gepäck, bewacht von bewaffneten SS-Leuten. Vor 80 Jahren, rund um den 18. Januar 1945, begannen die Todesmärsche aus Auschwitz und seinen Außenlagern - nur Tage, bevor die dort noch ausharrenden Häftlinge am 27. Januar befreit wurden.
Ein Brot und eine Dose Fleisch
Ein Brot, eine Dose Fleisch, ein Löffel, zwei Aspirintabletten, eine Zahnbürste und eine Decke: »Das waren meine Schätze«, erinnert sich Teo Ducci in der Arte-Dokumentation »Vernichtung im Laufschritt«. Und Alfred Jachmann sagt in dem Film: »Vom ersten Moment an war es so, dass jeder, der nicht mehr laufen konnte oder zurückblieb, erbarmungslos abgeknallt wurde.«
Die Todesmärsche von Auschwitz waren nicht die ersten, denn schon von Sommer 1944 an gab es Aktionen, bei denen Häftlinge in Richtung Westen angesichts des Vormarsches der Roten Armee gezwungen wurden. Die ersten auf diese Weise geräumten Lager befanden sich im Baltikum und im Osten Polens. Dort war das Konzentrationslager Majdanek bei Lublin bereits am 23. Juli 1944 befreit worden.
Hunderte Massengräber
Nach Angaben der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem starben bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 zwischen 200.000 und 250.000 Häftlinge aus NS-Konzentrationslagern auf Todesmärschen. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Opfer waren demnach Juden. Nach dem Krieg wurden hunderte Massengräber entlang der Strecken entdeckt. Heute erinnern Mahnmale und Gedenkstätten an die Todesmärsche.
Die Bewacher erschossen diejenigen, die zurückfielen oder nicht mehr konnten: Auf dem Weg waren Menschen, die ausgezehrt waren von teils jahrelanger KZ-Haft. Getötet wurde auch, wer bei Fluchtversuchen entdeckt wurde. Andere erfroren, in der warmen Jahreszeit war es die Hitze, die das Weiterlaufen unerträglich machte. Zudem gab es kaum etwas zu essen und zu trinken, Häftlinge litten an Krankheiten. Manche Märsche dauerten über Tage oder sogar Wochen.
Zu Fuß, per Zug und Schiff
Nicht auf allen Todesstrecken waren die Häftlinge zu Fuß unterwegs, es gab auch Routen per Zug und Schiff. In diesen Fällen herrschten heillose Überfüllung, Hunger und Durst, die Waggons mit den dünn bekleideten Häftlingen ratterten teils offen durch den eisigen Wind.
Die Bevölkerung konnte die Kolonnen von Häftlingen sehen - und ihre Schreie und andere Geräusche nachts hören, wie bis heute in Familien erzählt wird. Viele blieben untätig, aber es gab durchaus Menschen, die halfen oder es zumindest versuchten: mit Nahrung oder einem Versteck für Geflohene. Gegen Kriegsende machten sich nicht selten Bewacher auf und davon, um den Alliierten zu entkommen, und überließen die Häftlinge sich selbst.
Zehntausende Häftlinge aus Auschwitz und Außenlagern
Heute ist Auschwitz das Symbol für die Brutalität und den Vernichtungswahn der Nazis. Als in Auschwitz und seinen Außenlagern im Januar 1945 die Todesmärsche begannen, betrafen sie nach Auskunft von Yad Vashem und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau ungefähr 56.000 oder 66.000 Häftlinge. Manche wurden mit Güterzügen in andere Lager gebracht, mehrheitlich nach Groß-Rosen, Buchenwald, Dachau und Mauthausen, andere auf Fußmärsche etwa in Richtung Gleiwitz (Gliwice) geschickt. Vermutlich kamen etwa 15.000 Menschen ums Leben.
Der Überlebende Jachmann sagt in der Arte-Doku, wer die Strecke von Gleiwitz zurück nach Auschwitz damals hätte nachverfolgen wollen, hätte wegen der Leichen an den Straßen keine Wegweiser gebraucht.