USA

Wer ist gut für Israel und die Juden?

Laut Umfragen werden die jüdischen Wähler mit überwältigender Mehrheit für Kamala Harris abstimmen. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Ist Donald Trump, dem die Umfragen im Endspurt einen leichten Vorteil gegenüber Kamala Harris verheißen, gut für Israel und die Juden? Das ist eine talmudische Frage, wo Rabbi Elieser (pro Trump) das eine sagt und Rabbi Akiva (pro Harris) das andere. Vorweg zu den Fakten. Da meldet eine Umfrage, 72 Prozent der Juden Amerikas wollten Harris. Was bewegt sie? »Israel« kommt erst an dritter Stelle, hinter »Wirtschaft« und »Abtreibung«. Mithin ist Israel nicht erste Priorität.

Dazu ein Blick zurück in die Geschichte. In den 30er- und 40er-Jahren votierten bis zu 90 Prozent für den Demokraten Franklin D. Roosevelt. Seitdem sind es zwischen 70 und 90 Prozent. Die Demokraten blieben die »jüdische Partei«, wenn auch mit leicht sinkender Tendenz. Kein Wunder, waren doch die Republikaner die Partei der WASPS, der weißen Anglo-Protestanten: auf dem Land und in den kleinen Städten, im »Big Business«, das Juden ausschloss, in den höheren Ständen, die bis in die 50er-Jahre den Aufstieg in die Top-Universitäten streng rationierten.

Bei den Demokraten tut sich ein mächtiger linker Flügel hervor

Neu ist ein »Bäumchen-wechsel-dich«-Spiel. Bei den Demokraten tut sich ein mächtiger linker Flügel hervor, der Israel als »kolonialistischen Siedlerstaat« sieht und an den Spitzen-Universitäten für Quoten ficht, die Schwarze und Latinos begünstigen. Die Zahl der jüdischen Studenten in der »Efeu-Liga« sinkt. Dagegen die Republikaner: keine Bevorzugung für Nichtweiße, freie Bahn den Tüchtigen, pro Israel, Redefreiheit statt Sprachregelung. Anderseits ist Donald Trump keine Lichtfigur. Er tritt als Händler des Hasses auf. Er steht nicht für den liberalen Staat, den Juden schätzen, weil er ihnen den Aufstieg aus den Ghettos bahnte, sie zur erfolgreichsten Minderheit in der US-Geschichte machte. Folglich müsste Trump das uralte jüdische Angst-Gen mobilisieren.

Nun zum ausgedachten talmudischen Disput. Rabbi Elieser sieht in Trump den Retter Israels. Nur unter ihm werde der jüdische Staat überleben. Er zählt die Indizien auf. Am Jahrestag des 7. Oktober 2023 habe Trump gedonnert, es drohe »die Vernichtung. Ihr habt keinen Beschützer auf der anderen Seite!«.

In seiner ersten Amtszeit hatte Trump sich klar von seinen Vorgängern distanziert. Er hat die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt, was andere Präsidenten stets verweigerten. Er hat die Annexion des Golan anerkannt, die »Abraham Accords« durchgesetzt, die einen Frieden mit diversen muslimischen Staaten festschreiben sollen. Schließlich hat Trump Obamas gescheiterten Atom-Deal mit Iran aufgekündigt und neue Sanktionen verhängt, weil der Bombenbau weiterging. Für Rabbi Elieser ist Trump also gut für Israel und die Juden. Er war gegenüber Jerusalem nicht so wankelmütig wie Biden/Harris, die im Hamas-Krieg Waffen zurückhalten wollten.

Grundsätzlich schlägt das jüdisch-amerikanische Herz Mitte-links.

»Moment!«, wirft Rabbi Akiva ein: »Biden hat zweimal Israel dabei geholfen, iranische Raketen abzuwehren. Und jüngst brav Zieldaten an Israels Luftwaffe geliefert, die mit amerikanischen Kampfbombern wie dem supermodernen F-35 ausgerüstet ist.« Akiva legt nach: »Kampfjets ›made in USA‹ haben es der IAF erlaubt, iranische Militärziele auszuschalten.« Die Bundesluftwaffe würde über solch Luftüberlegenheit jubeln.

Folglich, so Akiva, »Links-Demokraten hin oder her, die strategische Partnerschaft zwischen Amerika und Israel funktioniert«. Elieser kontert: Auf Harris sei wegen ihrer dominanten Linken kein Verlass, schon gar nicht wegen ihrer woken Kulturpolitik. Die stehe gegen alles, was Juden heilig ist: Individual- statt Gruppenrechte, Leistung statt Quoten, freier Diskurs statt Sprachdiktat. Hier tut sich das Grund-Dilemma für Amerikas Juden auf: Ja, die Demokraten stehen ihnen seit Roosevelt viel näher. Anderseits war Trump als Präsident ein verlässlicher Freund des jüdischen Staates. Seine jetzige Rhetorik spendet allen Juden Trost, denen Israel ein Herzensanliegen ist.

Harris-Fürsprecher Akiva widerspricht: Auf Trumps Parolen sei kein Verlass; er redet, wie es ihm gerade passt. Schlimmer: Trump flirtet mit den Ultrarechten, die mit antisemitischen Verschwörungstheorien hantieren. Er soll laut seinem einstigen Stabschef Kelly gedroht haben: »Wenn ich diese Wahl verliere, geht das auf das Konto der Juden.« Dann lieber doch Harris, die versichert: »Ich werde immer sicherstellen, dass Israel sich verteidigen kann.«

Die jüdischen Wähler laufen nicht zu Trump über

Dieser Disput dramatisiert das Dilemma, knackt es aber nicht. Deshalb zurück zu den Fakten. Trump liegt insgesamt leicht vorn, aber nur innerhalb der statistischen Irrtumsmarge. Und: Die jüdischen Wähler laufen nicht zu Trump über. Sieben von zehn werden für Harris stimmen. Trump mag besser für Israel sein, aber die Sorge bleibt: Was wird dieser Brandstifter unserer Demokratie daheim antun, die uns noch näher liegt als Israel? Ist der nicht ein Neo-Faschist, dem Gewaltenteilung und Rechtsstaat keineswegs so heilig sind wie uns?

Derlei Talmud-Disput ist erhellend, aber in der realen Politik nicht entscheidend. Denn die Umfragen verkünden wie eh und je, dass die jüdischen Wähler mit überwältigender Mehrheit pro Harris abstimmen werden. Grundsätzlich schlägt das jüdisch-amerikanische Herz Mitte-links, wie seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Harris und ihr radikalisierter linker Flügel nagen am Vertrauen, doch auf den unberechenbaren Wüterich Trump setzen? Alte Liebe rostet nicht. Sie ist, wie 100 Jahre Wahlverhalten zeigen, nur etwas abgekühlt.

Der Autor hat in Harvard und an der Johns-Hopkins-Universität Politik gelehrt und ist Distinguished Fellow in Stanford.

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