Das Urteil des Kölner Landgerichts, das die religiöse Beschneidung von Jungen als Körperverletzung wertet, stößt bei Juden, Muslimen und Christen weiter auf Kritik.
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte die Entscheidung des Gerichts am Dienstagabend einen »beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungrecht der Religionsgemeinschaft«. Es sei »unerhört« und »unsensibel«. Graumann weist darauf hin, dass die Beschneidung für Juden ein »fester Bestandteil der Religion« ist, der seit Jahrtausenden praktiziert wird. In jedem Land der Welt werde dieses religiöse Recht respektiert.
Die Kölner Richter argumentierten, die religiöse Beschneidung sei ein dauerhafter und irreparabler Eingriff für das Kind. Sie sei, auch wenn die Eltern zustimmen, eine Körperverletzung.
Kindeswohl Die Allgemeine Rabbinerkonferenz (ARK) ist empört. »Wer die Beschneidung angreift, greift das Judentum in seinem Kern an«, heißt es in einer Pressemitteilung vom Mittwoch. Seit 3.000 Jahren sei das Kindeswohl ein zentraler Wert des Judentums, der durch die Beschneidung nicht gefährdet werde, erklärte die ARK.
Mit »Bestürzung und Entsetzen« hat die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) das Urteil zur Kenntnis genommen. In einer Erklärung hieß es: »Die Beschneidung ist für das Judentum seit jeher ein unverzichtbarer Bestandteil. Sie führt direkt auf den Vorvater der drei großen abrahamitischen Religionen, Abraham, zurück, als festes Zeichen des Bundes mit G’tt und der Zugehörigkeit jedes Juden zum jüdischen Volk.« Ohne das Recht auf Beschneidung sei die vom Grundgesetz zugesicherte Religionsfreiheit für das Judentum eine leere Hülle und ein reines Lippenbekenntnis, so die ORD.
Die Berliner konservative Gemeinde Adass Jisroel empfindet das Urteil »als – einen in der Nachkriegszeit – präzedenzlosen Angriff auf einen elementaren Bestandteil jüdischen Lebens«. Unfreiwillig sei es aber auch ein »rechtlich sanktioniertes Signal, das dazu geeignet ist, in der deutschen Gesellschaft antisemitische Tendenzen zu legitimieren«.
Das Jüdische Bildungszentrum von Chabad Lubawitsch in Berlin, der Bet Din Machsikei Hadat sowie Chabad Lubawitsch Düsseldorf weisen das Urteil in einer Erklärung »strikt zurück«.
Grundrechte Der Deutsche Koordinierungsrat hält die Entscheidung der Kölner Richter für »verfassungswidrig«. In seiner Erklärung heißt es: »Sollte dieses die Grundrechte in Frage stellende Urteil nicht von höherer Instanz verworfen werden, wäre für ein religiös lebendes Judentum in Deutschland kein Platz mehr.«
Auch aus der katholischen Kirche gibt es Kritik. Der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff nannte die Entscheidung »äußerst befremdlich«. Mit Hinweis auf die durch das Urteil entstandene Unruhe in der jüdischen und der islamischen Gemeinschaft forderte Mussinghoff, dass möglichst schnell Rechtsklarheit hergestellt und die ungestörte Ausübung der Religionsfreiheit sicher gestellt wird.
Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, sagte, das Landgericht habe es versäumt, die Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungs- und Personensorgerechts mit dem Recht der körperlichen Unversehrtheit angemessen abzuwägen. Die Entscheidung bedürfe deshalb der Korrektur, denn es sei auf jeden Fall nötig, dass es in dieser Frage Rechtssicherheit gibt. Anke: »Die Beschneidung hat für Juden und Muslime eine zentrale religiöse Bedeutung. Dieses berücksichtigt das Urteil nicht hinreichend.«
Selbstbestimmungsrecht Auch der Zentralrat der Muslime kritisierte, das Urteil stelle »einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht« dar. Dadurch werde die Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten zunehmen.
Zustimmung für das Kölner Urteil gab es vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten. Bei Beschneidungen handle es sich um einen »strafbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von wehrlosen und ihren Eltern ausgelieferten Jungen«. Es spiele dabei keine Rolle, »ob diese irreversiblen Verstümmelungen aus religiösen oder anderen ideologischen Gründen durchgeführt werden«, sagte Verbandssprecher Rainer Ponitka. ja