Es scheint deutsche Normalität zu sein: Synagogen, jüdische Gemeindezentren, Kindergärten und Schulen müssen von der Polizei bewacht werden. »Das ist überhaupt nicht normal«, sagt hingegen Ronen Steinke. Er wolle sich nicht daran gewöhnen, betont der Jurist, Journalist und Buchautor.
Steinke war am Montagabend Gast des zweiten »Jüdischen Salons« des Zentralrats der Juden in Deutschland. Das Gespräch mit Sabena Donath, Leiterin der Bildungsabteilung im Zentralrat, wurde im Bibliothekszentrum Geisteswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main aufgezeichnet und am Montagabend im Internet übertragen.
Anlass für die Begegnung war Steinkes ebenfalls am Montag erschienenes Buch Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Der Autor zeigte sich eloquent und kämpferisch. Als exemplarisches Beispiel für die von ihm kritisierten Missstände schilderte Steinke den Mordfall Shlomo Lewin. 1980 wurden der Erlanger Verleger und Rabbiner sowie seine Lebensgefährtin von einem Rechtsextremen in ihrem Haus erschossen.
NSU Erlangen sei damals die Hochburg der Neonazi-Szene in Deutschland gewesen, sagte Steinke. Die Polizei habe aber, anstatt in der Neonazi-Szene zu ermitteln, zuerst die These verfolgt, Lewin sei Mossad-Agent gewesen. Sie habe auch Gemeindemitglieder verhört. Es sei erschreckend zu sehen, welche systemische antisemitische Motive die Ermittler in diesem Mordfall geleitet hätten. Steinke sieht im damaligen Agieren der Polizei »eine sehr gespenstische Parallele zum NSU-Ermittlungsversagen«.
Erlangen sei 1980 die Hochburg der Nazi-Szene gewesen, betont Ronen Steinke.
Er kritisierte überdies Entscheidungen von Richtern wie etwa im Fall des Brandanschlags auf die Wuppertaler Synagoge im Sommer 2014. Die palästinensischstämmigen Täter argumentierten vor Gericht, sie wollten gegen Israels Vorgehen in Gaza protestieren. Das Gericht befand daher, es sei keine judenfeindliche Tat gewesen.
»Da haben wir es mit einer Rechtsprechungslinie zu tun, die schwach ist«, sagte Steinke. Als positives Gegenbeispiel erwähnte er den Einsatz des Dortmunder Polizeipräsidenten gegen die Neonazi-Partei »Die Rechte«, die auf Demonstrationen den Slogan »Nie wieder Israel« benutzt hatte.
halle Ein eigenes Buchkapitel widmet Steinke der Synagogentür in Halle, die an Jom Kippur 2019 einen rechtsextremen Attentäter davon abhielt, in die Synagoge einzudringen und dort ein Massaker anzurichten. Nicht der Rechtsstaat, sondern die Tatsache, dass die Holztür stabil genug gewesen sei und dass es eine Videokamera gegeben habe, habe den Täter aufgehalten, so Steinke. Diese Sicherheitsanlage habe die Hallenser Gemeinde selbst, ohne Steuergelder, finanziert. »Das ist ein Skandal und Staatsversagen«, sagte Steinke.
Er forderte ein Umdenken der deutschen Behörden: »Wenn es um präventive Schutzmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen geht, muss es Schluss sein, dass der Staat sagt, es ist eure eigene Verantwortung.« Es sei selbstverständlich die Aufgabe des Staates, jüdische Einrichtungen zu schützen. Ronen Steinke forderte außerdem ein konsequentes Vorgehen gegen Polizisten, die sich rechtsextrem äußern. Das Dienstverhältnis müsse in solchen Fällen sofort beendet werden.
Lesen Sie in unserer Ausgabe am Donnerstag ein ausführliches Interview mit Ronen Steinke.