Chuzpe kennt keine Grenzen. Dschibril Rajoub, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Palästina und Chef des dortigen Fußballbundes, hat ein Dankesschreiben an Jacques Rogge geschickt, den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees. Sein Dank gilt Rogges Entscheidung, keine Schweigeminute für die Opfer des Münchner Olympiaattentats von 1972 zu erlauben. »Sport ist eine Brücke für die Liebe, die Vereinigung und die Verbreitung von Frieden unter den Nationen«, schreibt Rajoub. »Sport darf kein Grund sein für Trennung oder für Rassismus.«
Massaker Als Rajoub jung war, agierte er als Terrorist gegen Israel und koordinierte die Angriffe anderer Terroristen. 20 Jahre lang saß er deswegen in einem israelischen Gefängnis. Ganz offensichtlich ist er also ein Mann, dessen terroristische Brüder unsere Athleten in München ermordet haben. Heute verlangt dieser Mann, dass des Massakers nicht gedacht werden soll. Dieser Brief dokumentiert grausamen Zynismus – vor einem aktuellen politischen Hintergrund. Mehrere arabische Länder hatten gedroht, sie würden ihre Beteiligung an den Olympischen Spielen in London absagen, wenn es, wie die Angehörigen der Ermordeten forderten, eine Schweigeminute gegeben hätte.
Der Belgier Rogge geriet, wie sein Vorgänger Juan Antonio Samaranch, in Panik und kapitulierte vor dieser Drohung. Die Haltung des arroganten Spaniers in dieser Frage kann zu einem gewissen Grad erklärt werden, die von Rogge jedoch ist unverständlich. Schließlich war Samaranch ein Faschist und enger Vertrauter des Diktators Franco. So einer wurde kein Freund Israels und der Juden.
Aber Jacques Rogge, ein Arzt, scheint ein weiser und vernünftiger Mann zu sein. Seine Entscheidung, eine Schweigeminute zu verhindern, ist sehr enttäuschend. Als intelligenter Mensch sollte er wissen, dass die Boykottdrohungen nie ernst gemeint waren. Kein arabisches Land hätte je seine Teilnahme an den Spielen abgesagt. Die Palästinensische Autonomiebehörde schon gar nicht. Deren einziges Ziel war es doch, in London die palästinensische Flagge zu sehen. Das ist ja auch geschehen. Nebenbei gesagt, der palästinensische Fahnenträger war der Judoka Abu Rmeileh, der in Ost-Jerusalem lebt und einen israelischen Pass besitzt.
Der Autor ist Schoa-Überlebender und war Sportjournalist bei Yedioth Ahronoth.