Im Gaza-Krieg deutet sich nach der Freilassung Dutzender Geiseln aus der Gewalt der Terrororganisation Hamas eine Verlängerung der zunächst bis Dienstagmorgen befristeten Feuerpause an. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu signalisierte grundsätzlich Bereitschaft dazu. Auch die palästinensische Terrororganisation Hamas strebt nach eigener Darstellung eine Verlängerung an, um im Austausch gegen Geiseln mehr palästinensische Häftlinge aus Israel freizubekommen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt unterdessen seinen Besuch in Israel fort. Nach einem Besuch in einem Kibbuz und einem Gespräch mit Netanjahu will er eine Klinik in Ost-Jerusalem aufsuchen, wo palästinensische Patienten behandelt werden.
Katars: Vernichtung der Hamas kaum möglich
Das im Gaza-Krieg vermittelnde Golfemirat Katar hält die von Israel als Kriegsziel genannte Vernichtung der Hamas für kaum realisierbar. »Man wird die Hamas nicht so einfach vernichten können. Ob wir mit ihr übereinstimmen oder nicht, sie ist Teil der Gesellschaft in Gaza und auch im Westjordanland«, sagte der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.
Katar habe Beziehungen zur Hamas aufgebaut, »um Ruhe und Stabilität in der Region zu bewahren«. Wenn sein Land dann sehe, dass ein Krieg ausbreche, würden diese Kommunikationskanäle – wie bereits in der Vergangenheit – genutzt. Vorwürfe, denen zufolge Katar den Terror unterstützt, darunter auch die Hamas, wurden von der Führung in Doha zurückgewiesen.
Hoffnung auf Verlängerung
US-Präsident Joe Biden hofft derweil, dass die zunächst für vier Tage vereinbarte Feuerpause verlängert wird, »damit wir weiterhin mehr Geiseln befreien und mehr humanitäre Hilfe für die Bedürftigen in Gaza leisten können«. Dafür werde er weiter mit Katar, Ägypten und Israel zusammenarbeiten, sagte Biden am Sonntag.
Ähnlich äußerte sich Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna. Es wäre »gut, hilfreich und notwendig«, die Waffenruhe zu verlängern, bis alle Geiseln frei seien, sagte Colonna am Sonntag dem Sender »BFM TV«, wie andere französische Medien in der Nacht zum Montag berichteten.
Seit Freitag kamen bisher 58 Geiseln frei, darunter acht deutsche Doppelstaatsbürger. Im Gegenzug wurde am Sonntag erneut eine Gruppe von 39 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen freigelassen, wie die israelische Gefängnisbehörde am Abend mitteilte.
Palästinensischen Berichten zufolge handelte es sich um 39 männliche Jugendliche unter 19 Jahren. Damit wurden seit Freitag bisher insgesamt 177 palästinensische Häftlinge freigelassen. Während die von der Hamas gehaltenen Geiseln unschuldig sind, handelt es sich bei den palästinensischen Gefängnisinsassen um Personen, denen Vergehen vorgeworfen werden, darunter Angriffe auf Israelis.
Zum ersten Mal war am Sonntag mit einem vierjährigen Mädchen namens Avigail auch eine Geisel freigelassen worden, die die US-Staatsangehörigkeit besitzt. Avigails Eltern wurden am 7. Oktober von palästinensischen Terroristen ermordet.
Geburtstag in Gefangenschaft
Das Schicksal der Kleinen bewegt seither viele Menschen. Am 7. Oktober, als Hamas-Terroristen ein beispielloses Massaker an israelischen Zivilisten anrichteten, musste das Mädchen mit ansehen, wie ihre Mutter erschossen wurde. Als sich ihr Vater schützend über seine Tochter legte, sei auch er ermordet worden. Die zehn und sechs Jahre alten Geschwister des Mädchens überlebten, weil sie sich im Schrank versteckten, bevor sie gerettet wurden.
Ihre kleine Schwester Avigail, die zunächst für tot gehalten wurde, sei unter der Leiche ihres Vaters hervorgekrochen und zum Haus eines Nachbarn gerannt, zitierte die »Washington Post« eine Verwandte des Mädchens weiter. Die Terroristen griffen sich dort das Mädchen zusammen mit der fünfköpfigen Nachbarsfamilie und verschleppten sie mit vielen anderen in den Gazastreifen. Am vergangenen Freitag wurde das Mädchen in der Gefangenschaft vier Jahre alt.
Freilassung weiterer Geiseln
Es gibt Hoffnung, dass jetzt noch mehr Geiseln freikommen. Das Abkommen sehe die Möglichkeit vor, die Kampfpause im Gegenzug für die Freilassung zehn weiterer Geiseln pro Tag zu verlängern, sagte Netanjahu am Sonntagabend nach einem Gespräch mit Biden. »Das wäre zu begrüßen.« Gleichzeitig habe er Biden gesagt, dass die Kämpfe nach der Feuerpause wiederaufgenommen würden. Nach Ende des Abkommens werde Israel seine Kriegsziele »mit voller Kraft verwirklichen«.
Israel hat derweil eine Liste mit den Namen weiterer Geiseln erhalten, die am Montag freikommen sollen. Das teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu am frühen Morgen mit. Die über Nacht eingegangene Liste werde überprüft. Wie viele Geiseln am vorerst letzten Tag der vereinbarten viertägigen Feuerpause im Gazastreifen freikommen könnten, wurde nicht mitgeteilt.
Unbestätigten Medienberichten zufolge soll es sich um elf Menschen handeln. Es wäre die vierte Gruppe an Geiseln, die seit Beginn der Feuerpause am Freitag im Gegenzug für die Freilassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen freikommen würden. Bisher kamen 58 Geiseln frei, unter ihnen acht deutsche Doppelstaatsbürger. Im Gegenzug für die freigelassenen Geiseln wurden 177 Palästinenser aus der Haft entlassen.
Existenzielle Bedrohung
Bundespräsident Steinmeier hatte am Vortag Israel die unverbrüchliche Unterstützung Deutschlands zugesagt. »Unsere Solidarität mit Israel gilt«, sagte er in Jerusalem bei einer Pressekonferenz mit Israels Staatspräsidenten Herzog. »Sie gilt nicht nur mit dem Israel als Opfer des Terrors. Unsere Solidarität gilt auch mit dem Israel, das sich wehrt, das kämpft gegen eine existenzielle Bedrohung.«
Steinmeier sagte dies mit Blick auf Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza. Es sei nötig, die Zivilisten in Gaza zu schonen und sie mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. »Das verlangt das humanitäre Völkerrecht.« Bereits in früheren Kriegen mit der Hamas – und auch in diesem Krieg – bemüht sich Israel um einen Schutz der Zivilbevölkerung Gazas. Die Armee warnt Bewohner, bevor sie Angriffe auf die Infrastruktur des Terrors startet, Fluchtkorridore wurden regelmäßig eingerichtet. dpa/ja