»Wenn meine Mutter Sie nur hätte hören können, was hätte sie wohl gesagt?«, fragt Andreas Nachama. Er steht am Rednerpult im Saal der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin – und ist sichtlich gerührt. Der Rabbiner wurde am Montag mit der Moses Mendelssohn Medaille für Toleranz und Völkerverständigung ausgezeichnet. Und er führte den Gedanken über seine Mutter weiter: »Jüdische Mütter denken immer, dass ihr mittelmäßiger Sohn ein Genie sei.« So ungefähr habe er sich gefühlt, als er die Laudatio von Staatsministerin Monika Grütters (CDU) mitverfolgt habe.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hatte Nachama einen »Wegbereiter interreligiöser Verständigung und Versöhnung, Botschafter gesellschaftlicher Integration« genannt. Er sei ein Mensch, der »mit Herz und Verstand, Lebensfreude und scharfem Intellekt« stets Wege der Annäherung suche und sich für ein wechselseitiges Verstehen einsetze. Der 67-Jährige habe immer darauf bestanden, aus der Vergangenheit zu lernen und Empathie für die unterschiedlichen Lebenswelten zu entwickeln. »Sie sind ein wahrer Lehrmeister der Toleranz und Verständigung«, sagte die Ministerin.
TEAMWORK Der Historiker und Rabbiner begegnete den Lobesworten bescheiden. Er habe in seinem Leben nie nur allein gehandelt. Seine Offenheit stamme womöglich aus seinem Elternhaus, in dem es gang und gäbe gewesen sei, verschiedene Sichtweisen aufs Leben zuzulassen und zu diskutieren. Sein gesellschaftliches Engagement? »Es war immer Teamwork. Alles, was wir bisher gemacht haben, war nur möglich, weil wir es zusammen gemacht haben.«
Die Liste seiner Aufgaben ist lang: Er ist Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz und Präsidiumsmitglied des Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Seit 1994 ist er geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors. Ende dieses Jahres wird er diesen Posten allerdings abgeben, denn er geht in den Ruhestand. Zu tun habe er dann aber immer noch mehr als genug, sagt er.
In seinem Elternhaus sei es gang und gäbe gewesen, verschiedene Sichtweisen aufs Leben zuzulassen und zu diskutieren.
Seit 1993 verleiht die Moses-Mendelssohn-Stiftung die Medaille an Persönlichkeiten, die sich im Sinne des Philosophen und Aufklärers Moses Mendelssohn (1729–1786) für Toleranz und Völkerverständigung engagieren. Zu den bisherigen Preisträgern gehören der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, die früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und Kurt Biedenkopf (CDU) sowie der Dirigent Daniel Barenboim.
GLAUBE »Die Verleihungen sind selten rundum fröhliche Veranstaltungen«, sagte Norbert Lammert zur Begrüßung. Das sei auch mit dem Sinn der Auszeichnung verknüpft. Werde doch durch die Medaille über Sachverhalte nachgedacht, die man nicht auf sich beruhen lassen dürfe, sagte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemalige Präsident des Bundestags. Antisemitismus sei noch immer eine stete Herausforderung, ihm zu begegnen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
»Andreas Nachama, Sie sagten einmal in einem Interview: ›Der Antisemitismus ist ein unglaublicher Blödsinn. Ich glaube an die Belehrbarkeit des Menschen.‹«, so Lammert. »Ich hoffe, dass Ihnen dieser Glaube nicht abhandengekommen ist.«