Geschichte

Was wusste Papst Pius wirklich? Und was verschwieg er?

Pius XII. (bürgerlicher Name: Eugenio Pacelli) war von 1939 bis zu seinem Tod 1958 Papst. Foto: imago

Sie ist ein Schlüsseldokument für die Haltung von Papst Pius XII. zum Holocaust. Die am 24. Dezember 1942, vor 80 Jahren, im Rundfunk übertragene päpstliche Weihnachtsansprache gilt als der einzige Text, in dem sich das Kirchenoberhaupt öffentlich zum Holocaust geäußert hat. Allerdings nur sehr verschlüsselt. Weshalb die Bewertung bis heute hoch umstritten ist.

Pius XII. ist - in der Folge von Rolf Hochhuths 1963 erschienenem Schauspiel »Der Stellvertreter« - eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Für die einen »Hitler’s Pope« (John Cornwell), der sich durch sein Schweigen zur Ermordung der Juden der Kollaboration mit dem NS-Regime schuldig gemacht hat. Für die anderen der »größte jemals lebender Wohltäter des jüdischen Volkes« (Pinchas Lapide), der zahllosen Juden das Leben gerettet hat - indem er ihnen direkt oder indirekt die Flucht oder ein Versteck in kirchlichen Einrichtungen ermöglichte.

Die Weihnachtsansprache von 1942 spielt in dieser Debatte eine große Rolle: In einem im August erschienen Beitrag für die »Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte« hat der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf einen neuen Erklärungsansatz vorgeschlagen: Mitnichten habe Pius XII. zum Genozid geschwiegen, schreibt Wolf, der in den vatikanischen Archiven Einblick in die Vorgeschichte der Papst-Ansprache nehmen konnte. Allerdings habe der Papst in seiner diplomatisch verbrämten, um Überparteilichkeit bemühten Rede »die Opfer nur sehr indirekt kenntlich gemacht«.

So deutet nur eine ganz kurze Textpassage auf den Holocaust hin. Die Rede ist von »Hunderttausenden, die persönlich schuldlos bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit (nazionalita) oder Abstammung (stirpe) willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind«. Der Begriff Juden kommt nicht vor, ebenso wenig wie das Wort Rasse. Die Täter werden mit keiner Silbe erwähnt.

Klar ist laut Forschung, dass Pius XII. bereits im Verlauf des Jahres 1942 von den Gräueltaten im Osten Europas Kenntnis erlangt haben muss. Auch die Frage, ob ein offener Protest den Verfolgten mehr nütze oder schade, beschäftigte ihn. Eine mutige Stellungnahme der holländischen Bischöfe für die Juden hatte zuvor dazu geführt, dass die Nazis die Verfolgung verschärften.

Wolf nennt als zentralen Grund den Anspruch von Pius XII., die politische Überparteilichkeit des Heiligen Stuhls zu wahren, um damit als möglicher Friedensvermittler im Spiel zu bleiben. Der umstrittene Passus der Weihnachtsansprache sei »in einer geradezu pedantischen Weise auf Ausgewogenheit und Überparteilichkeit angelegt«, schreibt der Historiker. Wolf erinnert zudem daran, dass der Papst sich in einer Zwickmühle befand: Weil er 1940/1941 gegen die Vernichtung von Hunderttausenden katholischen Polen seine Stimme nicht erhoben hatte, wollte er jetzt die Juden als Opfer des zweiten Genozids nicht namentlich nennen.

Doch päpstliche Überparteilichkeit angesichts des Völkermords? Die Wirkung der Weihnachtsansprache war schon direkt nach ihrer Veröffentlichung umstritten. Pius selbst glaubte, »er habe die Verfolgung der Juden verdammt«. Als der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing ihn im März 1943 angesichts einer neuen Welle von Deportationen bat, noch einmal für die »vielen Unglücklichen-Unschuldigen einzutreten«, schrieb er: »Zu dem, was im deutschen Machtraum zurzeit gegen die Nichtarier vor sich geht, haben wir in unserer Weihnachtsbotschaft ein Wort gesagt. Es ist kurz, wurde aber gut verstanden.«

Der Sicherheitsdienst der SS (SD) kam Anfang Januar 1943 zum Ergebnis, »in einer Weise wie noch nie zuvor« lehne der Papst in seiner Weihnachtsansprache jede »Neuordnung« der Welt »auf nationalsozialistischer Grundlage ab«. Der Papst mache sich zum Fürsprecher von Polen und Juden.

Propaganda-Minister Joseph Goebbels und Italiens Diktator Mussolini spotteten dagegen über die Ansammlung von »Gemeinplätzen«; Goebbels sprach von einer Rede ohne jede Bedeutung. Der Päpstliche Nuntius in Berlin, Cesare Orsenigo, meldete nach Rom, dass sich in der deutschen Presse kein einziger Hinweis auf die Weihnachtsansprache finde.

USA

Hitlergruß: Nach Musk nun Bannon?

Steve Bannon, einst Chefideologe von Donald Trump, hat bei einer Rede vor rechten Aktivisten eine umstrittene Geste gezeigt

von Michael Thaidigsmann  21.02.2025

Berlin

»Welt«-Gruppe gedenkt der Bibas-Familie

»All jene, die in Deutschland den Islamismus verharmlosen oder relativieren, sollten in die Gesichter der Bibas Kinder sehen«, betont »Welt«-Chefredakteur Jan Philipp Burgard

 21.02.2025

Interview

Haben Sie genug für Israel und für Juden in Deutschland getan, Herr Bundeskanzler?

Olaf Scholz (SPD) über die deutsche Staatsräson, seine Grünen-Koalitionspartner und die Bilanz der Ampel-Regierung bei jüdischen Themen

von Mascha Malburg, Philipp Peyman Engel  21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Demoskopie

Abstimmung gegen Antisemitismus?

So wahlentscheidend sind jüdische Themen

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Berlin

KZ-Gedenkstätten: Wählen gehen für die Demokratie

Rutscht die Gesellschaft weiter nach Rechts? Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten sieht die Bundestagswahl als Chance, diesen Trend zu stoppen

 20.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

WHO

Polio-Impfkampagne im Gazastreifen geht weiter

Weil das Poliovirus wieder in Abwasserproben nachgewiesen wurde, sollen in Gaza erneut etliche Mädchen und Jungen gegen Kinderlähmung geimpft werden. Start der Kampagne ist bereits in wenigen Tagen.

 19.02.2025