Die Gründer trafen sich ausgerechnet im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg - Hort des großstädtischen Linksliberalismus, den Sahra Wagenknecht so bitter beklagt. Als Pausensnack standen vegane Mini-Laugen-Sandwiches bereit. Um die Ecke vom Tagungshotel prangte an einem verwitterten Altbau die Forderung: »Freizügigkeit für alle Menschen - Abschotten & Abschiebungen sind tödlich«.
Das Umfeld passte also vielleicht nicht hundertprozentig zum Bündnis Sahra Wagenknecht, das sich hier am Montag offiziell als Partei formierte.
Denn Wagenknecht wirbt nach ihrem Bruch mit der Partei Die Linke ausdrücklich für eine Begrenzung der Migration. Sie will das »Label« links für sich gar nicht mehr nutzen. Vielmehr verspricht sie eine Politik für die »Mitte der Gesellschaft« und will nicht weniger als einen »politischen Neuanfang« für die gesamte Republik.
Die erste Bewährungsprobe wird die Europawahl am 9. Juni, bei der sich Wagenknecht ein zweistelliges Ergebnis erhofft. Bei den ostdeutschen Landtagswahlen im September will sie der AfD Stimmen abjagen. Aber erstmal muss das BSW auf die Beine kommen.
Wer steht hinter dem BSW?
Wagenknecht war nach dem Eintritt in die DDR-Staatspartei SED 1989 jahrzehntelang eines der bekanntesten Gesichter der Folgeparteien PDS und Die Linke. Eloquent, klug und kampfeslustig ist die studierte Philosophin mit Doktortitel im Fach Wirtschaft Liebling der Talkshows und Bestseller-Autorin. Nach jahrelangem Streit mit der Linken trat sie am 23. Oktober mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten aus und kündigte die Parteigründung an.
Der zur Vorbereitung gedachte Verein BSW sammelte etwa 1,4 Millionen Euro an Spenden als Startkapital für die Partei, wie BSW-Schatzmeister Ralph Suikat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mitteilte. Zur Gründung sollen nun zunächst 450 Mitglieder aufgenommen werden.
Ihre politische Einstellung und Vorgeschichte wurden systematisch geprüft, etwa anhand öffentlicher Äußerungen in sozialen Netzwerken. Man wolle nicht in die Falle tappen, Menschen aufzunehmen, die sich nicht konstruktiv einbrächten oder das Programm mittrügen, sagte Wagenknecht in einer Pressekonferenz. »Deshalb müssen wir da ein bisschen genauer hingucken.«
Wer sind neben Wagenknecht die führenden Köpfe?
Ihre treuesten Verbündeten sind die frühere Chefin der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, und der Bundestagsabgeordnete Christian Leye. Mohamed Ali leitet nun in einer Doppelspitze mit Wagenknecht die Partei, Leye wird Generalsekretär.
Spitzenkandidaten für die Europawahl werden der frühere Linken-Europaabgeordnete Fabio De Masi und der langjährige Sozialdemokrat Thomas Geisel, früher Oberbürgermeister von Düsseldorf. Vor allem die Einbindung von Geisel gilt als Coup. Von seiner Ex-Partei verabschiedete er sich mit den Worten, seine »sozialdemokratischen Grundsätze« seien im BSW eher vertreten als in der SPD.
Was will das BSW politisch?
Das am Montag veröffentlichte Parteiprogramm ist mit fünf Seiten nach wie vor sehr dünn. Es entspricht dem »Gründungsmanifest«, das seit Oktober bekannt ist. Obwohl die BSW-Führung am Montag zwei Stunden Rede und Antwort bei der Pressekonferenz stand, blieb vieles vage.
Doch hat Wagenknecht ihre Positionen in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« umrissen und in Dutzenden Interviews präzisiert. Dazu zählen: Begrenzung der Migration, Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Energiesanktionen gegen Russland, weitere Nutzung von billigem Gas und Öl, kein Aus für den Verbrennermotor, Abkehr von »vermeintlicher Klimapolitik«.
Wagenknecht plädiert für höhere Mindest- und Tariflöhne und bessere Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung, selbst wenn dies höhere Beiträge bedeutet. Der Staat soll mehr Geld in Bildung und Infrastruktur stecken und dafür die Schuldenbremse lockern sowie Vermögen und hohe Einkommen stärker besteuern.
Ist die Partei eher links oder eher rechts?
Während der Corona-Pandemie zeigte sich Wagenknecht skeptisch gegen Beschränkungen und Impfungen. Sie geißelt »Sprachkampf« und »Cancel Culture«. »Der moralisierende Linksliberalismus ist längst in einen neuen Autoritarismus gekippt, der totalitäre Züge trägt«, behauptet sie in »Die Selbstgerechten«.
»Das Rechts-Links-Schema kommt da an seine Grenzen«, sagt der Trierer Parteienforscher Marius Minas. In ökonomischen Fragen sei sie eher links, in gesellschaftlichen eher rechts. Es gebe eine Lücke im Parteiensystem, die sie ausfüllen könnte, meint Minas. »Ich gehe davon aus, dass die Partei darauf abzielt, sowohl bei der AfD als auch bei der Linken Wähler zu gewinnen, die nicht parteigebunden sind.«
Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Thomas Poguntke sieht eine »Angebotslücke« auch seitens der SPD. »Ihr wird schon eine Weile nachgesagt, dass sie sich zum Teil mehr um die Nicht-Arbeitenden als um die Arbeitenden kümmert. Zudem sagen viele auch auf der Linken, dass der Sozialstaat nur finanzierbar sei, wenn man die Migration in den Griff bekomme.«
Wie stehen die Chancen für die neue Partei?
Parteienforscher Poguntke kommt zu dem Schluss: »Unter dem Strich gibt es durchaus ein Potenzial für die Wagenknecht-Partei.« Nach einer Insa-Umfrage für »Bild« vom Dezember könnte BSW bundesweit auf 12 Prozent kommen. Doch bleiben Unwägbarkeiten. »Eine Parteigründung in Deutschland ist nicht leicht«, sagt Poguntke. »Wer bundesweit antreten will, muss in allen 16 Bundesländern organisiert sein mit Landesverbänden, Statuten, Grundsatzprogramm und so weiter.«
Der Zeitpunkt sei günstig, meint der Experte. »Die Hürden für eine neue Partei sind bei der Europawahl niedriger, weil man mit einer Bundesliste antreten kann.« Profitieren könne das BSW vom großen Unmut über die etablierten Parteien.
Auch Wagenknechts Bekanntheit helfe. Doch hat das eine Kehrseite: »Die Partei ist sehr stark auf Frau Wagenknecht zugeschnitten«, sagt Poguntke. »Normalerweise brauchen Parteigründungen etwas mehr Breite beim Personal und auch in der Fläche. Es wird interessant zu sehen, ob das funktioniert.«