Möge nunmehr dieses Blatt ein Bindeglied sein zwischen den Gemeindemitgliedern und ihren Gemeinden, und möge es unseren Brüdern draußen ein anschauliches Bild verleihen über unsere Aktivitäten in Deutschland.» Dies schrieb der damalige Landesverbandsvorsitzende Philipp Auerbach in seinem Geleitwort zur ersten Ausgabe des «Jüdischen Gemeindeblattes für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen», die 1946 erschien.
Heute, 70 Jahre später, hat sich vieles verändert. Format und Aufmachung, Auflage und Verbreitung, ja, auch der Name des Blattes ist ein anderer. Aber eine wichtige, von Auerbach beschriebene Aufgabe ist geblieben: Bindeglied zu den Gemeindemitgliedern, das verbindende Mittel der Kommunikation nach innen zu sein.
wächterfunktion Selbstverständlich kommt die Zeitung auch den vielen anderen Aufgaben nach: der jüdischen Gemeinschaft in der gesamtgesellschaftlichen Debatte eine Stimme zu geben, ihre Wächterfunktion weiterhin wahrzunehmen, jüdische und nichtjüdische Leser über das Geschehen in Israel und der Diaspora zu informieren und sie umfassend über jüdisches Leben, Kultur, Religion und Geschichte zu unterrichten.
Dabei steht dieses Blatt wie andere Zeitungen auch vor großen Herausforderungen: Da ist zum einen die vermeintliche Existenzkrise des Printjournalismus, die der Medienforscher Michael Haller eher als einen «allgegenwärtigen Zeitungspessimismus» sieht. Auflagen und Werbeeinnahmen sinken. Im Prozess des digitalen Wandels entwickelt sich auch die Jüdische Allgemeine, verändert sich mit neuen Ausdrucksformen. In gedruckter und digitaler Form steigt die Reichweite jedoch, die Zeitung erreicht mehr Leser – das stärkt die jüdische Stimme auch in der Debatte der nichtjüdischen Gesellschaft.
herausforderung Gleichzeitig steht die Zeitung aber noch vor einer besonderen Herausforderung – einer, der sich die jüdische Gemeinschaft weltweit und eben auch deren Medien gegenübersehen. David Suissa, Präsident der Tribe Media Corp., der Herausgeberin des Jewish Journal in Los Angeles, hat dies vor einiger Zeit in einem Essay treffend beschrieben: Es ist der Umstand, dass sich manche Juden nicht mehr in den Gemeinden engagieren und einige schon nicht mehr am Judentum interessiert sind. Für sie ist Judentum eine Wahlmöglichkeit, zu der es viele Alternativen gibt. Sie stellen sich häufig nur noch die Frage: Was macht mich am schnellsten glücklich? Das Judentum ist dabei häufig der Verlierer.
Vor diesem Hintergrund werden von der organisierten jüdischen Gemeinschaft viele Initiativen entwickelt. Man will dem Trend entgegenwirken, es gilt, Wissen zu vermitteln, Gemeinschaft anzubieten, jüdische Identität zu stärken. Jüdische Bildung lautet dabei das Zauberwort. Beim Schabbaton, im Sommercamp und in Seminarreihen wird versucht, Judentum doch zur ersten Wahl zu machen. Das sind wichtige Investitionen in die Zukunft. Doch all diese Angebote haben eines gemeinsam: Will man sie wahrnehmen, muss man sich erst einmal auf den Weg zu ihnen machen.
verbindungsglied Ein Angebot, das hingegen zum Nutzer kommt, sind die Medien, ein mächtiges Verbindungsglied innerhalb der jüdischen Welt. Sie sind ganz einfach zu haben, wie zum Beispiel eine Zeitung, die jede Woche neu im Briefkasten steckt oder am Kiosk um die Ecke erhältlich ist. Und online ist sie sogar jederzeit verfügbar, nur einen Klick entfernt.
Hält man das redaktionelle Angebot erst einmal in den Händen – ob auf Papier, dem Smartphone, iPad oder Laptop –, hat man die freie Wahl: Niemand sagt einem, was man lesen darf oder was man glauben soll. Reformiert, liberal, traditionell? Judentum ganz nach eigenen Vorstellungen. «Dies macht jüdischen Journalismus, ob in digitaler Form oder auf bedrucktem Papier, zur modernen und ultimativen Möglichkeit», meint David Suissa, «den jüdischen Funken zu entzünden und uns kontinuierlich mit unserer Gemeinde, unserer Tradition und untereinander zu verbinden.»
Damit können jüdische Medien für die einen gewährleisten, dass Judentum mehr als eine Option ist. Und für die anderen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – den Gemeinden und damit dem organisierten Judentum noch nicht anschließen können oder wollen, sind sie eine Möglichkeit, in Verbindung zu bleiben.
heimat Die Schauspielerin Rebecca Siemoneit-Barum zum Beispiel erzählt in einem kurzen Beitrag für die Jubiläumsausgabe unserer Zeitung, dass sie keine Gemeinde, und, wie sie es ausdrückt, keine Heimat hat. Gleichwohl sei ihr die jüdische Identität wichtig, die, «wie schon bei unseren Vorfahren, ortsunabhängig ist» und die sie in jeder Zelle ihres Körpers trage. Für sie ist diese Zeitung ihre Gemeinde. Sie zeigte ihr vor Jahren, dass sie nicht allein ist: «Die Jüdische Allgemeine informiert mich, unterhält mich und gibt mir Heimat, egal wo ich gerade bin.»
Das kann vielleicht auch für diejenigen gelten, die meinen, ihre Heimat und ihre Gemeinde schon gefunden zu haben, die aber in der Vielfalt und Unverbindlichkeit der virtuellen Communitys und des digitalen Überangebots nach einem Stück Beständigkeit und Verbindung zu ihrer Tradition suchen.
Damit zurück zu den Anfängen: Auch der Mitbegründer der Zeitung, Hans Frey, stellte in der ersten Ausgabe die Frage: «Wozu ein Jüdisches Gemeindeblatt?», und formulierte dabei die Aufgabe, «uns einander näher zu bringen». Dies scheint heute, 70 Jahre später, mindestens ebenso richtig und wichtig.