Ein Schüler zeigt im Unterricht den Hitlergruß: »Das ist ein Verhalten, das ein Lehrer auf keinen Fall so stehen lassen darf«, sagt Peter Anhalt, Leiter des Fachbereichs Rechtsextremismus beim Violence Prevention Network in Berlin.
Manchmal gebe es bei Pädagogen eine gewisse Scheu, das Thema anzugehen, so Anhalt, der Fortbildungsprogramme für Lehrer in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern leitet. »Hier ist ein Mix aus Ansprache und Ansage fällig.« Ansage heißt: Das Verhalten ist strafbewehrt und muss dem Landeskriminalamt gemeldet werden. Aber die Ansprache sei genauso wichtig, so der Theologe: »Es steckt eine Not dahinter, wenn jemand so etwas macht. Er will gesehen werden.«
Nicht erst in letzter Zeit häuften sich Vorfälle wie diese an Schulen, sagt er. Auch eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Schluss, das Rechtsextremismus allgemein zunimmt. Der Anteil der Bürger mit einer solchen Orientierung liegt bei rund acht Prozent. Er hat sich damit im Vergleich zu den Vorjahren verdreifacht.
»Es ist wie eine Erlaubnis, Menschen so zu hassen«
Als einen Grund für diese Entwicklung sehen die Autoren, dass immer mehr Menschen häusliche Einsamkeit erlebten und von persönlicher Verunsicherung und Krisen belastet seien. »Wer denkt, ausgeschlossen und isoliert zu sein und das Gefühl hat, dass einem Gesellschaft fehlt, ist weniger krisenresilient, beteiligt sich politisch weniger und neigt eher zu menschenfeindlichen wie auch antidemokratischen Einstellungen als Personen, die seltener Einsamkeit erleben«, resümieren die Forscher.
Die Erfahrungen von Peter Anhalt gehen in die gleiche Richtung: Oft erwachse Hass aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Auf Social-Media-Kanälen werde dies gefüttert: »Es ist wie eine Erlaubnis, Menschen so zu hassen.«
Das Violence Prevention Network betreut auch rechtsextreme Straftäter in Gefängnissen. Zu 90 Prozent stammten diese Menschen aus »dysfunktionalen Familien«, hätten dort Gewalterfahrungen gemacht und wenig Liebe erfahren. Auch Verwahrlosung, Alkohol und Drogen spielten oft eine Rolle; viele kämen aus Pflegefamilien. »Der Hass speist sich aus dem Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Sie fühlen sich am unteren Ende der Leiter und schauen deshalb auf diejenigen runter, von denen sie glauben, dass sie noch weniger wert sind als sie.«
Spezielle Entwicklung
Zudem stabilisiere Hass bei akuten Problemen, erklärt Anhalt. Auf die Frage, was er ohne seinen Hass machen würde, habe ihm einmal ein Mann geantwortet: »Dann würde ich zusammenbrechen.« Familie, Arbeit, ein kleines Haus: Viele dieser Menschen hätten bürgerliche Träume, die sie aber »als Berg sehen, den sie nicht bewältigen können.«
Vor allem in Ostdeutschland macht Anhalt, der dort selbst aufgewachsen ist, eine spezielle Entwicklung aus. Seiner Einschätzung nach ist der Rechtsextremismus dort auf dem Land teilweise salonfähig geworden. »Vor 20 Jahren fühlten sich rechtsextrem gesinnte Menschen hier als Outlaw, jetzt fühlen sie sich als Mainstream«, so Anhalt.
Dies sei auch für die Reintegration von straffällig gewordenen Rechtsextremen ein Problem, wenn sie aus der Haft zurückkehrten. Selbst wenn die Ausstiegshelfer einen Gesinnungswandel erreicht hätten, »kommen sie dann in ihr Dorf zurück, wo alle so sind«.
Ehemalige Lehrer
Unlängst kritisierte die Bundeszentrale für politische Bildung Pläne der Bundesregierung ihr in Ostdeutschland Gelder zu kürzen: Gerade hier seien Demokratieprogramme dringend notwendig.
Ob AfD-Mitglied Björn Höcke oder Publizist Götz Kubitschek - beides ehemalige Lehrer aus den alten Bundesländern, die sich in Ostdeutschland niedergelassen haben: Natürlich gebe es auch Menschen aus bürgerlichen Milieus, die rechtsextrem gesinnt seien, so Anhalt.
Kinder solcher Familien wüchsen auf dem Land in völkischen Siedlungen auf und würden gezielt indoktriniert. Rechtsextremismus verbinde sich hier mit Verschwörungsideologen und Reichsbürgern - »eine Melange von Menschen, die Demokratie nicht wollen und sich einig sind im Kampf gegen die freiheitliche Grundordnung.«
Existenzielle Verunsicherung
Dass sich besonders in Ostdeutschland rechte Gesinnungen zunehmend verbreiten, ist seiner Einschätzung nach auch »ein Erbe der autoritären Erziehung in der DDR«, sagt Anhalt, der aus Mecklenburg stammt. »Diese wirkt nach.« Hinzu komme die grundsätzliche existenzielle Verunsicherung wegen Klimakrise und Kriegen.
»Das macht Angst, und es werden einfache Antworten und Sündenböcke für die Verunsicherung gesucht.« Die Gesellschaft als Ganzes sei gefordert, dem etwas entgegenzusetzen.