Der türkische Premier Erdogan könnte eine der nächsten Gaza-Fahrten begleiten, um sich persönlich an der Durchbrechung der Blockade des Gazastreifens zu beteiligen. Unvorstellbar, was das für das bilaterale Verhältnis bedeuten könnte, sollte es dabei erneut zur Konfrontation kommen und Erdogan von türkischen Kriegsschiffen begleitet werden. Dabei würde er weniger seine Rolle als Palästinenserfreund zelebrieren wollen, sondern eher seinen Ehrgeiz, im Mittleren Osten eine dominierende Rolle zu übernehmen. Seit längerer Zeit schon ist Erdogan um eine Intensivierung der Beziehungen zu muslimischen Staaten bemüht. Er rückt langsam von der Nato ab. In Gaza gilt er als Held, weil er die »Mavi Marmara« unterstützt hat – und diese Aura strahlt auf die ganze Region aus. Erdogan ist künftig der Mann, der die Radikal-Islamisten in Bewegung setzen kann.
Schon jetzt hat der Angriff der israelischen Marine auf die Gaza-Flotte die strategische Lage im Nahen Osten verändert. Die früheren militärischen und politischen Verbündeten Israel und Türkei stehen sich nun feindlich gegenüber. Dass es auch friedlich geht, bewiesen die Aktivisten auf der »Rachel Corrie«. Israel stoppte den irischen Frachter am Samstag vor der Küste Gazas. Das Schiff wurde nach Aschdod gebracht, Besatzung und Personal am Sonntag abgeschoben. Weitere Schiffe der »Gaza-Flottille« sind angekündigt. Eskalieren könnte die Situation, sollte Teheran seine Ankündigung wahr machen, neue Blockadebrecher durch Mitglieder der iranischen Revolutionsgarde begleiten zu lassen.
folgen Die Konfrontation wird mit aller Härte geführt – und nicht nur zwischen den Regierungen: Von israelischer Seite wird der Vorwurf erhoben, die türkische Redaktion der internationalen Fotoagentur Reuters habe Bilder, die Verletzungen israelischer Soldaten zeigen, manipuliert: Auf den Originalfotos ist zu sehen, dass einige der »Friedensaktivisten« am Boden liegende Soldaten mit einem Messer bedrohen, auf zumindest einem von Reuters vertriebenen Foto sei jedoch ein Messer retuschiert worden. Die Wirtschaft spürt die israelisch-türkische Krise deutlich. Der bilaterale Handel, der bislang einen Umfang von drei Milliarden Dollar pro Jahr hat, werde schrumpfen, befürchten Manager in Tel Aviv. Ankara, ein wichtiger Kunde der israelischen Rüstungsindustrie, stellt nun Bedingungen. Die militärischen Geschäfte würden nur weiter laufen, wenn Israel den Angriff auf die Flotte von einer internationalen Kommission untersuchen lasse, sagt der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. Das sind keine leeren Drohungen, schon jetzt wurde die israelische Luftwaffe von multilateralen Manövern ausgeladen.
Innenpolitik Auswirkungen hat die Affäre auch auf die Lage in Israel. Den prominenten israelischen Arabern, die sich auf der Gaza-Flottille befanden, wirft man Verrat vor. Die Tatsache, dass zum Beispiel Raed Salah, der Chef der islamischen Bewegung aus Um el Fahm, an Bord war, zeige die engen Beziehungen des arabischen Israelis zur radikalen Bewegung, heißt es in Jerusalem. Unterdessen hat Generalstabschef Gabi Aschkenasi ein Team um den General a.D. Giora Eiland damit beauftragt, bis Juli in einem Bericht die Fehler und Lehren der Kommandoaktion festzuhalten. Die Ergebnisse der Untersuchung könnten für die führenden Kabinettsmitglieder unangenehm sein: Wenn Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak mit dem Vorwurf konfrontiert werden würden, den Einsatz ohne gründliche Vorbereitung befohlen zu haben, namentlich ohne genügend präzise Geheimdienstinformationen über die militanten Mitglieder auf der Flottille. Israel besteht bislang darauf, die Untersuchung intern durchzuführen. Washington indes besteht auf internationale Klärung des Vorfalls.
Israel scheint auf den Druck zu reagieren. Der britische Telegraph meldete, dass Jerusalem bereit sei, die Landblockade zu lockern, Ägypten hat bereits seinerseits den Grenzübergang Rafah zu dem von der islamistischen Hamas regierten Küstenstreifen geöffnet.