Bundestag

Was ist neu an der Antisemitismus-Resolution?

Leere Stühle im Plenum des Deutschen Bundestags Foto: IMAGO/Jochen Eckel

Am Ende kam die Einigung für viele überraschend. Selbst Parlamentarier, die mit der Materie gut vertraut sind, lernten erst aus der Presse, dass es in den Verhandlungen zwischen den Vizevorsitzenden ihrer Fraktionen zum Durchbruch gekommen war. Am Freitagabend titelte der »Spiegel«: »Ampel und Union einigen sich auf Resolution gegen Antisemitismus«. Nun liegt der Textentwurf der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP vor. Der gemeinsame Entschluss »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken« soll am Donnerstagmorgen im Deutschen Bundestag zur Abstimmung gebracht werden.

Endlich, sagen jetzt die einen. Zetermordio, rufen die anderen. Schon seit Monaten wird die Debatte um die geplante Resolution unversöhnlich geführt. Nachdem im Sommer ein erster Textentwurf an die Presse durchgestochen worden war, kam es zu einer ganzen Reihe an Meinungsstücken, offenen Briefen und Interventionen. Die Kritiker des Unterfangens warnten vor einer drastischen Einschränkung der Kunst- und Meinungsfreiheit. Die Befürworter wünschten sich schnell ein entschiedenes Zeichen des Parlaments gegen den in Deutschland grassierenden Antisemitismus.

Unter dem Eindruck des Hamas-Angriffs auf Israel kam schon im vergangenen Jahr die Idee einer gemeinsamen Resolution von Union und Ampel auf. Daraus wurde zunächst nichts. Dann startete im Frühjahr ein neuerlicher Anlauf. Doch die Verhandlungen zwischen Union und Ampelkoalition gerieten in eine Sackgasse. Insbesondere bei CDU/CSU und FDP sah man die Schuld dafür bei den Grünen: Teile der Fraktion, vor allem aus der Außen- und Kulturpolitik, würden eine Einigung hintertreiben. Eine interne Frist der Verhandlungsführer für Ende August wurde gerissen. Auch zum 7. Oktober, dem Jahrestag der Hamas-Massaker, kam keine gemeinsame Resolution zustande. Die Sorge wuchs, dass man selbst zum Gedenktag für die Novemberpogrome von 1938 noch nichts vorzuweisen haben würde.  

Alle mussten Abstriche machen

Doch die Fraktionsspitzen wollten es nicht so weit kommen lassen und drängten auf eine Einigung. Der nun vorliegende vierseitige Text ist ein Kompromiss, bei dem alle Beteiligten Abstriche machen mussten.

Er beginnt mit einigen allgemeinen Feststellungen und Absichtserklärungen. »Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe«, heißt es zum Beispiel. Oder: »Der Deutsche Bundestag ist dankbar, dass es nach der nationalsozialistischen Diktatur und trotz der Shoah wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland gibt.«

Es wird ein massiver Anstieg von Judenhass in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 konstatiert und festgestellt, dass dieser nicht zuletzt auf »Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens« zurückzuführen sei. Gleichzeitig wird betont, dass sich Antisemitismus »seit langem in allen gesellschaftlichen Bereichen« finden lasse.

Um Antisemitismus besser bekämpfen zu können, wird angeregt, Gesetzeslücken zu schließen und Möglichkeiten zur Repression konsequent auszuschöpfen, etwa im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht. Besonderer Fokus liegt auf der Bildung: So werden etwa Bundesländer, Schulen und Hochschulen darin bestärkt, stärker gegen Antisemitismus vorzugehen. Bei besonders schweren Fällen sollen auch Exmatrikulationen möglich gemacht werden.

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Auch dem Antisemitismus in der Kultur widmet sich die Resolution. »Die Ursachen und Hintergründe der großen Antisemitismusskandale der letzten Jahre in diesen Bereichen, insbesondere auf der ›documenta fifteen‹ und der Berlinale im Februar 2024 müssen umfassend aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen werden«, heißt es.

Außerdem wird das im vergangenen Herbst erfolgte Betätigungsverbot der Hamas und des Terror-nahen Netzwerks Samidoun begrüßt und die Prüfung weiterer Verbote extremistischer Organisationen gefordert, darunter ein »Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot« der gegen Israel gerichteten Boykott-Kampagne BDS.

Erst in der letzten Verhandlungsrunde wurden zudem einige Absätze in den Text aufgenommen, die eine Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland fordern. »Dazu gehört unter anderem, die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten und insbesondere die Arbeit der Gedenkstätten und Erinnerungseinrichtungen sowie die historisch-politische Bildungsarbeit zu fördern.«

Umstrittene Punkte wurden entschärft

In den umstrittensten Passagen gibt es im fertigen Text einige Veränderungen zum Entwurf, der im Sommer öffentlich wurde. Diejenigen, die für besonders strenge Regeln plädiert hatten, haben ihre Maximalforderungen größtenteils aufgegeben.

Das betrifft zum einen die Frage der Regeln für staatliche Fördermittelvergabe. Insbesondere die Union wollte in der – rechtlich nicht bindenden – Resolution die Absicht festhalten, künftig alle Anträge auf Bundesmittel einer Antisemitismus-Prüfung zu unterziehen. Im fertigen Text heißt es nun deutlich abgeschwächt: »Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.« Auch ein Prüfauftrag an die Bundesregierung für mögliche weitergehende haushaltsrechtliche Regeln wurde fallen gelassen.

Etwas deutlicher ist dagegen die Aufforderung, Bund, Länder und Kommunen sollten »rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden«. Wie solche Regelungen aussehen könnten, wird in dem Text aber nicht vorgegeben.

Ein weiterer besonders umkämpfter Punkt betrifft die Antisemitismus-Definition, die bei Entscheidungen über staatliche Förderung zugrunde gelegt werden soll. Hier stand zunächst eine strenge Anwendung der Arbeitsdefinition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance), die das Phänomen des israelbezogenen Antisemitismus besonders weit fasst, im Raum. Dagegen soll von manchen, vorwiegend grünen Abgeordneten wiederholt die alternative »Jerusalemer Erklärung« ins Spiel gebracht worden sein, von der Kritiker behaupten, sie verharmlose die gegen Israel gerichtete Boykott-Kampagne BDS. Ins Papier schaffte es letztlich die IHRA-Definition, die aber lediglich als »maßgeblich« heranzuziehen sei. Das lässt Handlungsspielraum.

Die Kritiker werden nicht beschwichtigt

Insgesamt wird in dem Resolutionsentwurf bei der Frage der staatlichen Förderung ein Konsens bekräftigt, der so ähnlich auch zuvor schon formuliert worden war. In vorangegangenen interfraktionellen Resolutionen hatte sich der Bundestag sowohl zur IHRA-Definition bekannt als auch zu dem Anspruch, Antisemitismus nicht mit staatlichen Mitteln zu fördern.

Den zahlreichen Kritikern der Resolution, die eine Zensur von Kunst und Wissenschaft befürchten, wird in dem neuen Text durchaus entgegengekommen. Zuletzt hat es auch dieser Satz hineingeschafft: »Die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sind hohe Güter und werden durch unser Grundgesetz garantiert und geschützt.« Es ist der Versuch einer Beschwichtigung, der wohl nicht aufgehen wird.

Eine erneute Welle der Empörung hebt gerade an. Im Deutschlandfunk nannte der Hauptstadtkorrespondent Stephan Detjen den Resolutionsentwurf einen »Irrweg«. Er fordert die Bedenkenträger in den Reihen des Bundestages dazu auf, »ihre Einwände offen zu artikulieren und dieses von Grund auf missratene Verfahren in eine andere Bahn zu lenken«.

Genau das versucht nun die SPD-Abgeordnete Nina Scheer. Sie halte Teile der Resolution »sowohl in rechtlicher als auch politischer Hinsicht für falsch und nicht tragbar«, erklärte sie am Montag und plädierte für eine »transparente parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Resolutionstext und der IHRA-Definition«. Mit anderen Worten: Der zäh verhandelte Kompromiss um einen gemeinsamen Antisemitismus-Beschluss soll wieder auf null gesetzt werden.

Parallel wird gerade auf die grüne Bundestagsfraktion von der eigenen Basis Druck ausgeübt. Die Sprecherinnen und Sprecher von neun Bundesarbeitsgemeinschaften der Partei wenden sich in einem Brief, aus dem der »Spiegel« zitiert, mit der dringenden Bitte an die Parlamentarier, »die Verhandlungen neu aufzunehmen oder gegen den erarbeiteten Vorschlag abzustimmen, sollte es zur Abstimmung kommen«. Zumindest bei einem Teil der grünen Parlamentarier wird das auf offene Ohren stoßen.

Doch ob sich bis zur Abstimmung am Donnerstag eine relevante Opposition gegen die Resolution mobilisieren lässt, ist fraglich. Viel Zeit bleibt dafür nicht.

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