Was nützt eine jüdische Präsidententochter, wenn ein antisemitischer Präsidentenberater ins Weiße Haus geholt wird? Es hat nicht einmal eine Woche gedauert, da verstummen die jüdischen Trump-Enthusiasten. Wie sollen sie auch sonst die Ernennung des Nationalisten Stephen Bannon zum Chefberater des künftigen Präsidenten Trump erklären, eines Mannes, der seine Kinder nicht auf eine Schule mit »zu vielen Juden« schicken möchte, und der auf seiner Webseite rassistische und antisemitische Hetze betreibt.
Vor ein paar Tagen klang es noch anders: Während viele amerikanische Juden nach dem Wahlsieg Donald Trumps Schiwa saßen, nahmen manch andere, in Europa und im russischsprachigen Kulturraum, die US-Wahlergebnisse mit Hoffnung, ja mit Schadenfreude auf. »Lieber Tausend Trumps als eine Lügnerin« – triumphierte Victor Topaller, ein bekannter TV-Moderator russisch-jüdischer Abstammung, in New York. Ein renommierter jüdischer Schriftsteller, Michail Weller, resümierte aus Moskau: »Mit Trump haben wir eine Perspektive – eine Chance zur Rettung der Zivilisation.«
putin-anhänger Diese Leute sind keine Putin-Anhänger, ihre Äußerungen entspringen anderen Motiven: Manche stört zu viel politische Korrektheit, andere zu viel Rücksichtnahme auf Minderheiten, hohe Zuwanderung oder Obamas Außenpolitik. Viele eint die Angst um das jüdische Überleben in Israel und in der Diaspora. Diese Stimmen sind eine Minderheit, aber gerade unter europäischen Juden zunehmend en vogue.
Die Kurzsichtigkeit, mit der mancher Jude dem antiliberalen Populismus verfällt, ist wenig überraschend: Auch Juden sind Menschen – warum sollten sie vor Sympathien für Trump und Konsorten gefeit sein? Gerade deswegen müssen wir in einen Dialog darüber treten, ob das, was wir in den USA (davor in Großbritannien, davor in Mecklenburg-Vorpommern, davor in Österreich) erleben, uns als Gemeinschaft nützt oder gefährdet.
Uns muss klar sein, worum es geht: Wir stehen an einer historischen Gabelung. Die Entscheidung fällt nicht zwischen Arm und Reich, Rechts und Links oder zwischen Eliten und Massen. Das sind Einzelfragen, nicht der Kern. Die Hauptfrage ist eine systemische: Gehört unsere Zukunft einer liberalen Demokratie westlicher Prägung mit starken Bürgerrechten, demokratischen Institutionen und freier Presse, oder gleiten wir ab in ein System, in dem Massen und Charismatiker über Individuen, Minderheiten und deren Rechte entscheiden?
dominostein In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Trump der entscheidende Dominostein in der unaufhaltsamen Kette umkippender Demokratien wird. Die nächsten Tests sind die Wahlen in Österreich, Frankreich und Deutschland. Sollte die globale antiliberale Bewegung an Schwung gewinnen, müssten wir uns auf Turbulenzen einstellen. Denn die fatale Mischung der antiliberalen und antiwestlichen Kräfte dürfte das heutige Zeitalter der jüdischen Kultur- und Gesellschaftsblüte infrage stellen.
Strukturell sind diese antiliberalen Bewegungen für Juden gefährlich. Allzu leicht schlägt ihre Elitenverachtung in Verschwörungstheorien um. Und wo Verschwörungsfantasien sind, da ist auch Antisemitismus nicht weit. »Juden« sind die paradigmatischen »Verschwörungseliten« der Menschheitsgeschichte.
Und wo »Eliten« genannt werden, sind häufig »Juden« gemeint. Gepaart mit dem Drang, die missliebige »politische Korrektheit« wegzufegen, öffnet der blinde Anti-Elitarismus Tür und Tor für die hässlichsten Ausdrücke der plebiszitären Diskurse. Trump hat es vorgemacht: Er hat gegen jüdische Prominente gestichelt und die Grenzen der Assoziationen ausgereizt.
hillary clinton Er mag kein Antisemit sein, aber er weiß, dass viele seiner Anhänger es sind. Und das weiß er zu nutzen: Im Juni twitterte er ein Bild Hillary Clintons vor einem Dollarhaufen mit einem Hexagramm – Quelle: eine neonazistische Datenbank. Im Oktober berichtete Trump in einer Rede, Clinton würde »geheime Treffen mit internationalen Bankern abhalten, um die Zerstörung der Souveränität der USA zu planen«. Den Rest überlassen Trump, Petry oder Le Pen ihrer Anhängerschaft.
Der offene Antisemitismus kommt von der Straße. Oder wie es heute der Fall ist: von der Twitter-Autobahn. Als Reaktion auf fremdenfeindliche »Meinungen des Volkes« schweigen sich die antiliberalen Politiker wiederum genüsslich aus: »Ich habe keine Botschaft an diese Menschen«, so erwiderte Donald Trump die Aufforderung, seine Anhänger zu zügeln, die die jüdische (und russischstämmige) Journalistin Julia Ioffe antisemitisch attackierten. Klar: In einer Demokratie darf doch jeder ...
Das gefährliche Ziel dieser populistischen Bewegungen ist die Abschaffung des liberalen Geistes unserer Gesellschaften. Just dieser Geist des Liberalen bescherte aber jüdischen Menschen ihre Blütezeit. Die Verkörperung dieses liberalen jüdischen Traums waren bisher die USA gewesen. Nun steht das Land vor einem Trumpschen Stresstest. Ob die USA als liberale Demokratie die Regierungszeit Trumps überleben, wird auch darüber entscheiden, ob Europa sich als liberaler Kontinent trotz Krisen und Einmischung von außen wieder aufrappeln wird. Und ob dies der Fall ist, wird auch von der leidenschaftlichen und unmissverständlichen Positionierung der Juden in Deutschland abhängen.
Der Autor ist Anwalt und Publizist in Berlin.