Standpunkt

Warum wir mit Euch gehen

Kundgebungsort: das Brandenburger Tor in Berlin Foto: Thinkstock

Neulich erhielt ich einen Anruf, der mich traurig zurückließ. Eigentlich war es ein ganz normaler Rückruf. Mein Reisebüro. Es ging um eine Buchung für meine Familie. Mitten zwischen Flugoptionen rutschte es meinem Reiseberater raus. Er sei sich nicht mehr sicher, ob Deutschland noch ein Land sei, in dem er sich sicher fühlen könnte. Er ist Jude. Wenn ich an dieses Gespräch denke, tut es mir körperlich weh.

Ist es wirklich so weit? Nein, aber allein der Gedanke, dass ein Jude in Deutschland Angst haben kann, schmerzt. Ich arbeite für ein Haus, das sich die Verantwortung für den Schutz der Juden in seine Fundamente eingemeißelt hat. Axel Springer hat damals, nach dem Krieg, nach dem Holocaust, diese Verantwortung erkannt und demonstriert, weil niemand anders – die Gesellschaft nicht und auch der Staat nicht – in dieser Deutlichkeit dazu bereit war.

Ich habe Axel Springer für den Mut, für seine Werte einzutreten, immer bewundert. Sein Ethos hat unser Haus geprägt, hat die wichtigste Zeitung von Axel Springers Verlag, BILD, geprägt. Deshalb ist BILD am 25. Juli mit der Schlagzeile »Nie wieder Judenhass« erschienen, indem von Angela Merkel bis Ulrich Wickert, Menschen, zu denen wir aufsehen, ihre Stimme erhoben haben, deshalb bin ich auch selber dabei, wenn wir am 14. September zur Verteidigung unserer Verantwortung für das Judentum auf die Straße gehen.

grundethos Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz. Das ist nicht nur das Grundethos des Axel-Springer-Verlags, das ist auch der der Bundesrepublik Deutschland. Zur fundamentalsten Gründungs- und Daseinsberechtigung der Bundesrepublik gehört die Verantwortung, die aus der Geschichte des Judentums in Deutschland erwächst. Deutschland ist ein Land der Juden. Die jiddische Sprache ist ein deutscher Dialekt. Wir gehen in einer Stadt auf die Straßen, die wie kaum eine andere ihren kulturellen Aufstieg Juden zu verdanken hat. Der Riss, der zwischen Judentum und Deutschland durch Auschwitz entstanden ist, ist die Grundtragik der deutschen Nation. Die Pflicht, sich der Verantwortung zu stellen, die diese Tragik nach sich zieht, ist der wichtigste – der uns definierende – Konsens dieses Landes.

Gerne wird behauptet, es gebe gar keinen neuen deutschen Antisemitismus. Das was wir erleben, sei vielmehr ein importierter Antisemitismus, die Kids, die uns – unbehelligt durch Sicherheitskräfte – mit Schreien wie »Jude, Jude, feiges Schwein« aufgeschreckt hätten, seien doch in Wirklichkeit, Jugendliche mit »Migrationshintergrund«. Bei solchen Relativierungen wird mir, ehrlich gesagt, übel. Einerseits jubeln wir Fußballern mit ebenjenem »Migrationshintergrund« zu und freuen uns, wenn sie im Nationaltrikot »Einigkeit und Recht und Freiheit« singen, andererseits sehen wir krampfhaft weg, wenn junge Deutsche den Konflikt im Heiligen Land nutzen, um anti-jüdische Ressentiments zu schüren.

mainstream Noch beunruhigender ist: Der publizistische Mainstream trägt dies – abgesehen von unverbindlichen Gardinenpredigten – mit. Die Technische Universität Berlin (TU) hat neulich einen Bericht vorgelegt, in dem das Vorurteil untersucht wurde, die deutsche Presse gehe zu zaghaft mit Kritik an Israel um. Das Gegenteil trifft zu. Die Berichterstattung über den Nahen Osten wurde mit Artikeln über die Lage der Menschenrechte und Konflikte in anderen Ländern verglichen, darunter Russland, China, Saudi-Arabien und Nordkorea. Kaum eines der Länder schnitt so schlecht ab wie Israel. Von 400 Schlagzeilen des Jahres 2012 wurden in drei Viertel Israel als der aggressive Part dargestellt.

Man muss zwischen Antisemitismus und Israel-Kritik trennen, sicher. Aber ist Israel-Bashing nicht längst eine sozial akzeptierte Form von Antisemitismus geworden? Als Kind der 60er-Jahre wurde natürlich auch ich durch jene Lehrer geprägt, die uns die Einzigartigkeit des Holocausts eingebläut haben. Aber oft waren es auch die gleichen Lehrer, die für die PLO Partei ergriffen. Meine Schulzeit hat mich daher auch für die unterschwellige anti-jüdische Spannung sensibilisiert, die innerhalb der deutschen Linken stilprägend ist. Aber auch im Bürgertum werden tradierte antisemitische Klischees langsam wieder salonfähig.

Deshalb erhebe ich meine Stimme. Das, was mich meine Lehrer von der Einzigartigkeit des Holocausts gelehrt haben, stimmt nun mal! Deshalb müssen diese Ressentiments in Deutschland, besonders wenn sie politisch korrekt verkleidet daher kommen, beim Namen genannt und bekämpft werden.

solidarisierung Es gibt zur Solidarisierung mit Israel keine Alternative. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Ich behaupte, dass Bürger jedes Landes berechtigt sind, über die Angemessenheit der israelischen Antwort auf Gewalt aus den Palästinensergebieten zu diskutieren – gerade in Israel wird das ja sehr leidenschaftlich getan –, aber dass es Deutschen gut zu Gesicht steht, sich bei dieser Diskussion nicht aus dem Fenster zu lehnen. Das darf natürlich nicht in Denk- oder Redeverboten enden – aber es muss endlich eine Rückbesinnung stattfinden auf unsere völlig einzigartige Verantwortung für den Schutz eines Volkes, dem Deutschland so unendlich viel zu verdanken hat, an dem es sich aber auch auf nie mehr gut zu machende Art versündigt hat.

Wir werden nicht danebenstehen, wenn in unserem Land Juden geschmäht werden. Unser Haus wird da nicht danebenstehen, unsere Zeitung wird da nicht daneben stehen, meine Freunde und meine Familie werden da nicht danebenstehen. Wir werden am 14. September – und auch danach – mit Euch gehen.

Der Autor ist Herausgeber der BILD-Gruppe und Chefredakteur der BILD-Zeitung.

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025