Herr Schrimm, in Ihrem Buch »Schuld, die nicht vergeht«, das Anfang Oktober erschienen ist, berichten Sie davon, wie Sie als Staatsanwalt den letzten NS-Verbrechern auf der Spur waren. Bald sind alle Täter und Opfer des Nationalsozialismus verstorben – ist damit ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte abgeschlossen?
Abgeschlossen ist dieses Kapitel nie. Es wird uns Deutsche auch noch in 100 Jahren verfolgen, so wie es auch bei anderen Großverbrechen in der Geschichte sein wird, die nicht vergessen sind und auch nicht vergessen werden dürfen. Die Verbrechen in der NS-Zeit sollten auch für alle folgenden Generationen eine Warnung sein.
Wie gehen Sie damit um, dass viele Täter nie gefasst oder verurteilt wurden? Hätte es aus Ihrer Sicht da mehr staatliche Anstrengung gebraucht?
Für mich ist das sehr bedauerlich. Wir haben es versucht und haben dabei auch Fehler gemacht. Aber wohl kein Staat der Welt hätte es schaffen können, alle Täter zu verurteilen. Dies liegt auch daran, dass unser Rechtsstaat keine Bestrafung um jeden Preis will, sondern jeder Täter durch den Rechtstaat überführt werden muss, was es schon wegen fehlender Beweise oder Zeugen unmöglich macht, alle NS-Verbrecher zu verurteilen.
Mit dem Erstarken der AfD befürchten manche Deutsche, dass nun wieder Nazis im Bundestag sitzen. Was sagen Sie zu solchen Befürchtungen? Sind sie gerechtfertigt?
Ich glaube, dass die Gefahr, die von der AfD ausgeht, überschätzt wird, vor allem im Vergleich zum »Dritten Reich«: Die heutigen politischen und wirtschaftlichen Zustände und die Stimmung im Volk sind mit der Situation in den 1930er-Jahren nicht vergleichbar. Unsere Demokratie ist stark genug, um eine AfD zu verkraften. Außerdem sind nicht alle Wähler der Partei fremdenfeindlich und nicht alle Abgeordnete der AfD sollten in die Nazi-Ecke gestellt werden. Viele sind nur wertkonservativ und fühlen sich nicht von der Politik vertreten, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht.
Kurt Schrimm, langjähriger Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, hat sein halbes Leben lang damit verbracht, NS-Verbrecher wie Josef Schwammberger, Alfons Götzfrid oder John Demjanjuk vor Gericht zu bringen.