Nach dem vorläufigen Aus des Neubrandenburger Prozesses gegen einen früheren SS-Sanitäter im Konzentrationslager Auschwitz haben Auschwitz-Überlebende das Landgericht kritisiert. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit sei es dem Landgericht gelungen, den Prozess durch Absage des Termins am kommenden Montag vorläufig scheitern zu lassen, teilte das Internationale Auschwitz-Komitee am Freitag in Berlin mit.
»Zum Vehikel des Scheiterns« seien Anträge der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger geworden, die über Befangenheitsanträge ein unparteiisches Gericht verlangten. Das Gericht hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass die Hauptverhandlung von vorn beginnen müsse, weil die Drei-Wochen-Frist wegen der Befangenheitsanträge nicht eingehalten werden könne. Wann der Prozess neu beginnt, könne noch nicht gesagt werden.
fassungslosigkeit »Von Anbeginn des Prozesses an war allen Beobachtern mehr als deutlich, dass der Vorsitzende Richter einem Prozess in Sachen Auschwitz völlig ablehnend gegenüberstand«, sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitz-Komitees. »Seine arrogante und maliziöse Verhandlungsführung, die einseitig auf Wohl und Wehe des Angeklagten fokussiert war«, habe Auschwitz-Überlebende aus dem Prozess ausgeschlossen.
Das Landgericht habe »ein jämmerliches Kapitel« der deutschen Rechtsgeschichte geschrieben, erklärte Heubner. Auschwitz-Überlebende in vielen Ländern hätten die Arbeit dieses Gerichtes mit Fassungslosigkeit verfolgt.
Die Rechtsvertreter von zwei in den USA lebenden Nebenklägern teilten mit, dass alle Erfahrungen, insbesondere mit dem Vorsitzenden Richter, seit Erhebung der Anklage am 23. Februar 2015 überdeutlich gemacht hätten, »dass die Nebenkläger von diesem Gericht keine Gerechtigkeit erwarten konnten«.
beweisaufnahme Für die allein vom Oberlandesgericht Rostock erzwungene Hauptverhandlung habe das Neubrandenburger Gericht »niemals eine Beweisaufnahme geplant«. Seit Jahresbeginn 2016 »sollte lediglich die Verhandlungsunfähigkeit herbeigeredet« werden. Für die Nebenkläger habe es deshalb keinen anderen Weg gegeben, als die »ganz offenbar befangenen Richter abzulehnen«.
Dem 96-jährigen Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen vorgeworfen. Er soll als SS-Sanitäter im Sommer 1944 mehrere Wochen im KZ Auschwitz-Birkenau gearbeitet haben. Ihm wird zur Last gelegt, von Mitte August bis Mitte September 1944 durch seine Tätigkeit dazu beigetragen zu haben, dass die SS-Leute im KZ handlungsfähig waren und die Massenvernichtung von Deportierten ausführen konnten. In dem fraglichen Zeitraum kamen laut Anklage 14 Züge mit Häftlingen an, die in den Gaskammern umgebracht wurden. Im Fall einer Verurteilung drohen dem 96-Jährigen drei bis 15 Jahre Haft. epd