Urteil

Vorerst rechtswidrig

Das Gericht untersagte der Gemeinde, die Wahl zur Repräsentantenversammlung wie geplant durchzuführen. Foto: Getty Images/iStockphoto

Der Beschluss hätte deutlicher nicht sein können. Die neue Wahlordnung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die Ende Mai erlassen wurde und drastische Beschränkungen des passiven Wahlrechts vorsieht, wurde vom Gericht des Zentralrats der Juden in Deutschland per einstweiliger Anordnung vorläufig ausgesetzt.

Geht es nach dem Beschluss des Zentralratsgerichts, wird die Wahl zur Repräsentantenversammlung der Gemeinde, die unter anderem den Vorstand wählt und beaufsichtigt, nicht wie geplant Anfang September stattfinden. Die Berliner Gemeinde hält jedoch sowohl an der Wahlordnung als auch am Zeitplan fest.

satzung Die neue Satzung sieht vor, dass nur Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wählbar sind, die das 70. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Konstituierung der neuen Repräsentantenversammlung noch nicht vollendet haben. Gemeindeangestellte sowie Mitarbeiter bestimmter jüdischer Organisationen samt deren Ehegatten dürfen nach der neuen Wahlordnung ebenfalls nicht antreten.

Ausnahmen sind jedoch für amtierende Mitglieder des Gremiums oder des Vorstands vorgesehen. Darunter befinden sich aktuell auch Personen, die schon weit über 80 Jahre alt sind. Zudem sollte der Wahlmodus komplett auf Briefwahl umgestellt werden. Kritiker sehen darin den Versuch des seit 2012 amtierenden Gemeindevorsitzenden Gideon Joffe, seine Machtbasis zu sichern.

In einem vorläufigen Beschluss entschied nun das in Frankfurt ansässige Gericht des Zentralrats, dass die neue Wahlordnung mit elementaren Rechtsgrundsätzen unvereinbar sei. Die Altersbegrenzung für Kandidaten und der Ausschluss bestimmter Personen verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Willkürverbot des Grundgesetzes und sei auch mit jüdischem Recht unvereinbar, urteilten die Richter. Sie stellten zudem fest, dass mit einer ausschließlichen Briefwahl die Öffentlichkeit der Wahl und damit eine freie, unabhängige und persönliche Ausübung des Stimmrechts nicht sichergestellt sei.

hauptsacheverfahren Sie untersagten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin die Durchführung der auf den 3. September angesetzten Wahl der Gemeindevertreter. Stattdessen wurde die Gemeinde verpflichtet, entweder bis spätestens 5. Dezember die Wahl nach der alten Wahlsatzung durchzuführen oder binnen vier Wochen vor demselben Gericht ein Hauptsacheverfahren anzustrengen.

Die Berliner Gemeinde erkennt die Zuständigkeit des Gerichts nicht an.

Joffe-Vorgängerin Lala Süsskind (77) und ihr Mann Artur (82), ein ehemaliger Vorsitzender der Repräsentantenversammlung, hatten bei dem Schiedsgericht einen Eilantrag eingereicht, weil die neue Wahlordnung sie von einer Kandidatur ausschließt. Sie zeigten sich nach Bekanntwerden des Urteils »froh und erleichtert«.

Die Gerichtsbarkeit des Zentralrats der Juden mit zwei Instanzen – einem Gericht und einem mit insgesamt sechs Richtern besetzten Gerichtshof – besteht in dieser Form erst seit dem vergangenen Jahr. Ziel ist es, Streitigkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und nicht vor staatlichen Gerichten zu schlichten. Ob das im vorliegenden Fall gelingen wird, erscheint aber fraglich.

schiedsgericht Die Jüdische Gemeinde zu Berlin erkennt die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit beim Zentralrat der Juden in diesem Fall nämlich nicht an – und verweist auf ihr eigenes Schiedsgericht. »Mit Befremden« habe man den Beschluss zur Kenntnis genommen, teilte ein Gemeindesprecher mit. Die einstweilige Anordnung sei »offensichtlich unzulässig und zudem auch inhaltlich völlig unbegründet«.

Man beobachte seit geraumer Zeit angebliche »Versuche des Zentralrats, in die einzelnen Gemeinden hineinzuregieren und deren Selbstbestimmung infrage zu stellen«, so der Sprecher. »Wir als größte jüdische Gemeinde (in Deutschland) werden diesen massiven Angriff auf die Satzungsautonomie nicht dulden.« Diese Autonomie sei auch vom Grundgesetz geschützt.

In der Berliner Gemeinde existiere zudem »schon immer« ein eigenes sachkundiges besetztes Schiedsgericht, das über alle relevanten Belange der Gemeinde entscheide und auch in diesem Fall zuständig sei. Man werde sich »der Willkür und dem rechtswidrigen Machtgebaren« des Zentralratsgerichts nicht beugen.

AUTONOMIE Dieser Argumentation folgten die drei Richter des Gerichts beim Zentralrat jedoch nicht: Der Berliner Schiedsausschuss sei für eine solche grundlegende Prüfung nicht zuständig, erklärten sie. Der Zentralrat reagierte ungehalten auf die Kritik an dem Beschluss des Gerichts. Dieses verrichte seine Arbeit völlig unabhängig. Auch das Berliner Argument der Eigenverantwortlichkeit wies man zurück: »Die satzungsgemäße Autonomie gewährleistet jüdischen Gemeinden keinen rechtsfreien Raum.«

Schon seit Längerem ist das Verhältnis zwischen der Berliner Gemeinde und dem Dachverband angespannt. Vor einigen Monaten hatte die Gemeinde überraschend die Übernahme des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam angekündigt, ohne zuvor den Zentralrat – einen der Hauptzuschussgeber der liberalen Rabbinerausbildungsstätte – informiert zu haben. Der Streit um die Berliner Wahlordnung lässt diesen Konflikt womöglich eskalieren.

Für Klägerin Süsskind steht fest: »Die Durchsetzung des Beschlusses liegt jetzt in den Händen des Zentralrats.« Das dürfte angesichts der Uneinsichtigkeit der Gemeindeführung in Berlin nicht einfach werden. Für den Fall der Nichtbefolgung seiner Anordnung hat die Gerichtskammer bereits mehrere Optionen aufgelistet.

Demnach sind Zwangsgelder von bis zu 10.000 Euro und die Aussetzung des Stimmrechts der Berliner Gemeinde in den Gremien des Zentralrats möglich – und schlussendlich sogar ein Ausschluss aus dem Dachverband für die Dauer von bis zu zwei Jahren. Die Berliner Gemeinde kündigte bereits an, »gerne die uns im Beschluss angedrohten Strafmaßnahmen in Kauf« nehmen zu wollen, um die Wahl wie geplant stattfinden zu lassen.

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