Am 21. Februar trafen sich wichtige Funktionäre der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, um die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Fatou Bensouda, zu verabschieden. Vor den versammelten Außenministern, Botschaftern und Beamten erklärte Bensouda, fehlende Mittel, Drohungen und Druck von außen sowie tagespolitische Launen würden die internationale Gerichtsbarkeit gefährden.
Am Ende der Sitzung dankten die Europäer Bensouda für ihre Arbeit. Doch dürften die meisten froh sein, dass sie geht. Schon im vergangenen September hatte eine unabhängige Expertengruppe ihren Bericht über die Arbeit des IStGH vorgelegt, in dem nicht nur Ressourcenverschwendung, Bürokratie, Führungsmangel und fehlende Rechenschaftspflicht, sondern auch eine »Kultur der Angst und des Misstrauens« innerhalb des Gerichts moniert werden.
Budget Ein vernichtender Befund. Hinzu kommt die Ergebnisarmut: Gemäß dem Statut von Rom soll der IStGH wegen »Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggression« ermitteln. In 20 Jahren hat er mit seinen über 900 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und einem Budget von 30 Milliarden Euro gerade einmal neun Verurteilungen erreicht. Hätten die Richter von Nürnberg ähnlich ineffizient gearbeitet, sie wären erst Mitte der 60er-Jahre mit der Verurteilung der führenden Nazis fertig geworden.
Hinzu kommt, dass die Afrikanische Union das Gericht als neokoloniales Instrument kritisiert hat, weil bisher nur Fälle aus Afrika gehört wurden.
An der Misere ist Bensouda nicht allein schuld. Dass sie aber das Hauptproblem des Gerichts im politischen Druck von außen sieht, ist ebenso bezeichnend wie ihre Taktik, diesem Druck auszuweichen und ihm zugleich nachzugeben: indem sie Ermittlungen im Westjordanland und in Gaza aufnimmt, die sich explizit auch gegen Israelis richten. Wenn eine Funktion des Antisemitismus darin besteht, einen Sündenbock für eigenes Versagen zu finden, so hat Benjamin Netanjahu recht, wenn er Bensoudas Vorgehen als »reinen Antisemitismus« bezeichnet.
Kompetenz Denn erstens hat der IStGH keine Zuständigkeit für »Palästina«. Laut Statut übertragen die Unterzeichnerstaaten dem Gericht das Recht, auf ihrem Gebiet zu ermitteln, wenn sie selbst dazu unfähig sein sollten. Das Westjordanland und Gaza bilden aber keinen Staat, und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat darum auch kein Recht, dem Gericht diese Kompetenz zu übertragen.
Zweitens aber hat die PA im Rahmen der Abkommen mit Israel ausdrücklich auf das Recht verzichtet, israelische Staatsbürger juristisch zu belangen. Dafür sind israelische Gerichte zuständig. Wenn schon der IStGH auf Antrag der PA in Palästina ermittelt, so müsste er anerkennen, dass er allenfalls gegen solche Personen ermitteln darf, für die auch palästinensische Gerichte zuständig wären: Terroristen der Fatah, der Hamas, des Islamischen Dschihad und so weiter.
Den Haag hat keine Zuständigkeit für Palästina.
Schaut man sich drittens die Fälle an, die Bensouda untersuchen will, so fällt ein eklatantes Missverhältnis auf: Angehörigen der israelischen Streitkräfte (IDF) wird »in wenigstens drei Fällen« eine unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt vorgeworfen, darunter auch gegen Zivilisten, die Abzeichen internationaler Hilfsorganisationen trugen. So etwas kommt im »Nebel des Gefechts« vor, und die IDF sowie die israelische Justiz untersuchen solche Fälle regelmäßig.
Der Hamas und anderen »palästinensischen bewaffneten Gruppen« aber wirft der IStGH vor, absichtlich Zivilisten und zivile Ziele angegriffen, Zi-
vilisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als menschliche Schutzschilde benutzt, die eigenen Bürger willkürlich getötet, gefoltert, ihres Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren und ihrer Menschenwürde beraubt zu haben. Doch die Täter werden von Hamas und Fatah als Helden gefeiert. Glaubt irgendjemand, die Auftraggeber des Terrors in Ramallah und Gaza würden ihre eigenen Leute an das Gericht ausliefern?
Demokratie Israel wiederum ist – wie auch die größten Demokratien der Welt, Indien und die USA – kein Unterzeichnerstaat des Statuts von Rom. Israel wird also keinesfalls zulassen, dass seine Staatsbürger – ob Soldaten oder Politiker – in Den Haag vor Gericht gestellt werden.
Nach alledem ist klar, dass Bensoudas Vorstoß allenfalls diplomatische Folgen haben wird: etwa, wenn Deutschland in die Verlegenheit gebracht werden sollte, einen zu Besuch weilenden israelischen Politiker oder Militär aufgrund eines Haftbefehls des IStGH festzunehmen.
Einzig auf solche propagandistischen »Erfolge« haben es Fatah und Hamas abgesehen. Dass sich eine trotz Unzulänglichkeiten so wertvolle Institution wie der IStGH als Propagandainstrument – wie bislang schon der UN-Menschenrechtsausschuss – missbrauchen lässt, ist traurig und dient weder der Gerechtigkeit noch dem Frieden.
Kritik Bensoudas Nachfolger, der Brite Karim Khan, hat sich mit dem Genozid in Ruanda und den Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien beschäftigt. Zuletzt untersuchte er die Verbrechen des »Islamischen Staats« im Irak. Vor diesem Hintergrund dürfte Khan die Ermittlungen gegen Israel im richtigen Licht sehen. Falls nicht: Deutschland hat schon die Ausdehnung des IStGH-Mandats auf Palästina öffentlich kritisiert.
Deutsche Diplomaten dürften Khan längst klargemacht haben, dass es unklug wäre, die Bundesregierung in einen Loyalitätskonflikt zwischen Israel und dem IStGH zu bringen. Die Zeiten, da Deutschland im Interesse des Multilateralismus bereit war, beinahe jede Gemeinheit gegen Israel wenigstens verbal mitzumachen, sind längst vorbei.
Der Autor schreibt für die »Welt« und betreibt den Blog »Starke Meinungen«.