In der kommenden Woche soll der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte in München beginnen. Der eigentliche NSU-Komplex geriet in der Debatte über Akkreditierungsfragen aus dem Blick, obwohl hier noch zentrale Fragen offen sind. 488 Seiten umfasst die Anklageschrift des Generalbundesanwalts, mehr als 600 Zeugen werden benannt, 22 Sachverständige zitiert.
Zschäpe werden 27 rechtlich selbstständige Handlungen gemeinschaftlich mit den verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vorgeworfen. Darunter sind zehn Morde und mehr als 20 versuchte Morde. Hinzu kommen mehrere Banküberfälle, die Zschäpe als Mitglied des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) mitgetragen haben soll, sowie die Brandstiftung in ihrer Zwickauer Wohnung, bei der sie laut Anklage den Tod von Menschen in Kauf genommen habe.
düsseldorf Hinweise, wonach der NSU auch mit einem antisemitischen Anschlag im Jahr 2000 in Düsseldorf in Verbindung gebracht werden kann, bestätigten sich bislang nicht. Damals waren zehn, vor allem aus der ehemaligen UdSSR stammende, Juden teilweise schwer verletzt worden.
Der Antisemitismus war für das Weltbild der NSU-Terroristen zwar prägend, doch bei der Auswahl ihrer Opfer scheinen sie sich auf Menschen mit Migrationshintergrund konzentriert zu haben. In einer ersten Version ihres Bekennervideos suchen sie Mitstreiter »im Kampf gegen die Kanackenflut«.
Wie viele Helfer sie bei diesem Kampf hatten, ist noch immer unklar. Wahrscheinlich ist, dass das »Zwickauer Terror-Trio« mindestens ein Quartett war. Denn wie soll Zschäpe im November 2011 sonst vom Tod ihrer Kameraden in Eisenach erfahren haben – deutlich vor den ersten Pressemeldungen über den Banküberfall? Einen weiteren Hinweis auf ein viertes Mitglied liefert das Bekennervideo des NSU. In den Ermittlungsakten heißt es dazu, es fände sich ein »Hinweis auf die zahlenmäßige Zusammensetzung des NSU« von vier Personen.
lockerungen Da erscheint es erstaunlich, dass das Oberlandesgericht München den NSU bereits im Januar für nicht mehr existent erklärte und damit Lockerungen in der Haft für Beate Zschäpe begründete. In Wirklichkeit ist bis heute überhaupt nicht klar, wie viele Mitglieder es tatsächlich gab.
Auch wie groß das Unterstützernetzwerk des NSU war, lässt sich bislang nicht seriös beantworten. Die Rechtsterroristen hatten ihre Ziele ausgekundschaftet – oder auskundschaften lassen. Als mögliche Anschlagsorte hatten sie Adressen gesammelt: von Politikern, Rechtsanwälten, islamischen Zentren, Flüchtlingsheimen und auch jüdischen Einrichtungen. Die Anmerkungen waren teilweise erstaunlich detailliert. So hieß es bei einem Asylbewerberheim, die Tür habe kein Schloss und sei offen. Ein deutlicher Hinweis auf Helfer aus den jeweiligen Städten.
In ihrer Zeit im »Thüringischen Heimatschutz« hatten die späteren NSU-Terroristen noch mehrere antisemitisch motivierte Taten verübt, beispielsweise waren sie in Naziuniformen in KZ-Gedenkstätten aufgetaucht. Möglicherweise waren die jungen Rechtsextremen damals noch stärker von Altnazis wie Manfred Roeder geprägt. Später orientierte sich der NSU eher an Konzepten des Ku-Klux-Klan und »Blood & Honour«, die einen Untergrundkrieg für die »weiße Rasse« propagieren.
staat Der Verdacht, dass staatliche Stellen davon gewusst haben könnten, hält sich hartnäckig. Ein Indiz: Zschäpe wurde nach der Sprengung ihrer Wohnung in Zwickau von einem Telefonanschluss angerufen, der auf das sächsische Innenministerium zugelassen ist – und zwar deutlich früher als von der Polizeidirektion Zwickau, die erst einige Stunden nach dem Feuer versuchte, Zschäpe als Wohnungsmieterin zu erreichen.
Für Misstrauen sorgen auch mehrere V-Männer im NSU-Umfeld. Bei den bislang bekannten Neonazis in dem braunen Netzwerk, die Informationen an den Staat verkauften, handelt es sich mitnichten um Mitläufer, sondern teilweise um führende Kader. Wie viele V-Leute gab es noch im NSU-Umfeld? Wie kann es sein, dass staatliche Stellen dennoch nichts von dem Rechtsterrorismus in Deutschland wussten?
Dass der NSU-Prozess diese Fragen beantworten wird, ist unwahrscheinlich. Die Anwälte der Nebenkläger und Angehörige der NSU-Opfer warnen davor, das Verfahren als Untersuchungsausschuss zu begreifen. Es gehe in dem Prozess vor allem um die persönliche Schuld der Angeklagten – und dies sei bereits nicht wenig.